Kapitel 31

„A sky full of stars and he was staring at her."
-Atticus
••


Shawn

„Scheiße Mann, ich erblinde. Was zum Teufel tust du da?"

Brian beugte sich mit seiner liebsten Tasse in der Hand ein Stück nach vorne und inspizierte mich, als hätte er das, was er sah, noch nie zur Kenntnis genommen und verstanden. Ich tat das abgefuckteste, das man nach einer Show vor 20.000 Menschen in Pittsburgh, Pennsylvania tun konnte. Ich las. Ich las zum dritten Mal. Ich las zum dritten Mal dasselbe Buch.

Und dachte nicht an das was drinstand. Fast.

Meine Welt dreht sich, weil ihr Herz schlägt.

Für einen Herzschlag blickte ich auf. Aus dem einfachen Grund, dass es ein ungeschriebenes Gesetz war, aufzublicken, wenn man beim Lesen unterbrochen wurde. Wenn mir nach Lachen zumute gewesen wäre, hätte ich nicht gewusst, weswegen mehr: Der Tatsache, dass Camilas Seele die einzige war, die mich jemals freiwillig dazu animiert hatte, zu lesen, oder wegen Brians Gesichtsausdruck. Er zweifelte wohl ernsthaft an meiner Zurechnungsfähigkeit und beinahe neigte ich dazu, ihm zuzustimmen. Es war nicht komisch, aber irgendwie doch. Wie alleine man sein konnte, obwohl man es nicht war.

Ich räusperte mich, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob es klug war, etwas zu sagen.

„Ich lese. Gefährdet die Dummheit. Total abgefahren."

Mein bester Kumpel ließ sich neben mir auf das Sofa des Tourbusses fallen und warf mir einen „Was auch immer, du Arschloch" – Blick zu, während er eine Dose Bier öffnete.

„Du vermisst sie."

Eine Feststellung, keine Frage. Ich zuckte die Schultern und schluckte. Ein Gefühl, keine Antwort. Als ich eines der letzten „Wie geht es dir heute, Maggie May?" in Brittainy C. Cherrys Meisterwerk las und die schwarzen Zeilen vor meinen Augen verschwammen, weil sie brannten und mein Hals eng wurde, wusste ich, dass es kein Fehler war, zu schweigen. Denn nicht zu schweigen, hätte mich davon abgehalten, in Tränen auszubrechen. Genau das wollte ich nicht: Abgehalten werden. Und während ich, nicht einmal vierundzwanzig Stunden nachdem ich Mila gebeten hatte, okay zu sein, von Brian in den Arm genommen wurde, hoffte ich, dass ihr Herz noch eine Weile im gleichen Takt schlug, wie meines. Ich heulte. Wie der Junge, den ich an meine Angst verlor.

Brian sagte nicht ein Wort, bis er sich erhob und mit einer kleinen Pille zurückkam. Er nickte, bevor ich es tat. Er nickte, bevor ich die Tablette nicht schluckte, sondern im Mülleimer neben mir verschwinden ließ. Ich nickte, bevor er aufstöhnte und sich die Haare raufte.

„Können wir nicht einfach zu dem Part übergehen, in dem sie mit der gigantischen Torte hier auftaucht, ihr euer Wiedersehen so feiert, dass ich es mir nicht vorstellen will und du aufhörst zu heulen?"

Ich öffnete meinen Mund, doch sagte nichts. Ich würde nie wieder etwas sagen können. Denn die Tür meines verdammt großen Tourbusses öffnete sich und was ich sah, war... Eine verdammt noch größere Torte. Meine Kinnlade segelte zu Boden, während das Gesicht der Frau, die ich liebte endlich zum Vorschein kam. Ihre Wangen glänzten im schönsten Rotton und es war vermutlich nicht das letzte Mal, dass ich in ihre Augen sah und vergaß, wie beschissen ich mich eigentlich fühlte. Denn jetzt galt es nur, ein einzelnes Gefühl auszukosten. Das eine, welches mein sechsjähriges Ich bei Geschenken unter dem Weihnachtsbaum verspürt hatte. Mein erstes Konzert als Headliner, der Madison Square Garden, all das war, wenn man an die Ewigkeit dachte, nach der wir alle strebten, nur ein kleiner Schritt. Oh ja.

Oh ja. Ewigkeit.

Das war es, was Camila Cabello mir bescherte, obwohl meine – alle – Tage so furchtbar gezählt waren, dass ich hätte weinen müssen. Ich tat überhaupt nichts, wagte es nicht einmal zu atmen, als meine atemberaubende, verrückte, hinreißende – Könnt ihr mir folgen? – Freundin sich durch ihre Locken fuhr und eine Hand auf Brians Schulter legte.

Meine Lieblingslocken.

„Brian, Kumpel... Du musst echt lernen, Überraschungen besser anzukündigen."

Brian schnaubte. „Ich glaube, meine Anwesenheitspflicht endet hier. Viel Spaß Leute... Wobei auch immer ihr in habt – Habt ihn leise. Bitte."

Hätte meine Kehle vor ein paar Augenblicken nicht endgültig versagt, hätte ich gelacht. Oder... Auch nicht? Schließlich wusste ich gerade nicht mehr, was ich zu fühlen imstande war. Brian schlug hinter sich eine kleine Tür zu und ihr Knall riss mich aus meiner Starre.

Mit Camilas Gesicht in meinen Händen atmete ich flach und unkontrolliert. Als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Meine Stirn an der meines Mädchens kostete es mich unsagbare Kraft, sie nicht augenblicklich besinnungslos zu küssen.

„Du bist hier", keuchte ich. Sie war es tatsächlich. Sie war bei mir und ich konnte sie halten und ja, verflucht, nicht wieder loslassen.

Sie ist hier.

Ich trat einen winzigen Schritt nach hinten, ohne sie aus den Augen zu lassen. Es war, als stünde sie mir das allererste Mal gegenüber. Das erste Mal Liebe. Das erste Mal Vollkommenheit. Scheiße, ich würde in Tränen ausbrechen und schluchzen wie ein Baby. Und es gab nichts, was ich tun konnte, um dagegen anzukämpfen.

„Shawn..." Mein Gott, ihre Stimme.

„Baby, ist alles in Ordnung?"

Camila wischte eine Träne fort, die es wohl leid war, sich länger zu verstecken und öffnete ihren anmutigen Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam ihr zuvor.

Warum?

„Warum bist du...? Wie bist du...? Wann bist du...?

Sie lachte und ich starb. Schon wieder.

„Willst du all das wirklich wissen? Jetzt?"

Ihr warmer Atem benebelte mich und ich gab es beinahe auf, uns beide zu halten. Meine Brust schmerzte, so sehr wollte ich sie. Mit allem so perfekt unperfekten, das sie war.

„Nein. Kein bisschen." Unsere Nasen trafen aufeinander und ich verstand endlich, dass Ewigkeit nichts war, dem man irgendwann begegnete. Sie war in jedem Tag versteckt und ich hatte mich zu lange geweigert, sie zu suchen. Oder mich von ihr finden zu lassen. Dabei hatte sie so lange vor meinen Augen getanzt. So lange und doch nicht lange genug.

„Du bist es", raunte ich und hätte schwören können, ihr rasendes Herz an ihrem Hals zu sehen.

„Was bin ich?", gab sie zurück und sie zitterte nicht weniger, aber viel süßer als ich.

„Alles. Du bist alles."

Pause.

„Küss mich", bat ich und begnügte mich, bis sie soweit war, nur damit, ihre Lippen mit meinen zu streifen.

„Ich liebe dich."

„Ich liebe dich."

Es war schwer zu sagen, wer von uns welchen Satz ausgesprochen hatte, doch eine Millisekunde später spielte selbst er keine Rolle mehr, denn unsere Lippen trafen endlich vollständig aufeinander. Das Blut in meinen Adern hatte Schwierigkeiten, mit meinem Herzen Schritt zu halten und irgendwann schmeckte ich Salz. Camilas oder meine Tränen... Wer wusste das schon? All unsere zerbrochenen Teile wurden zu einem wunderbaren Ganzen, als die Zunge meiner Freundin über meine Unterlippe strich und ich ihr, nahezu verzweifelt, Einlass gewährte. Wir lieferten uns einen verspielten Kampf und ihr Seufzen entlockte meiner Kehle einen ebenso leidenschaftlichen Laut. Ich hätte sterben können und wäre als glücklichster Mensch der Weltgeschichte abgetreten. Irgendwann und irgendwie taten wir was wir konnten, um einander – schon nach knapp vierundzwanzig Stunden – zu beweisen, wie sehr wir uns nach dem anderen sehnten.

Meine Freundin lag unter mir und ich... Ich schwieg und sah sie einfach nur an, während ich mich fragte, ob ich seit unserer ersten Begegnung wohl denselben Blick getragen hatte. Jedes Mal.

Ich liebe dich.

Ich schob einen ihrer schwarzen Sweater, einen von denen, die sie am liebsten trug, ein winziges Stück nach oben. Meine Finger brannten noch bevor eine Fingerspitze ihre samtige, warme Haut spürte. Ich schluckte und bemühte mich um regelmäßige, gewöhnliche Atemzüge. Camila Cabello war so atemberaubend, so begehrenswert. Ich liebte sie. Ich liebte sie und sie liebte mich. Wie war so etwas möglich? Wie waren ausgerechnet wir beide hier gelandet? Unserer Magie wurde ein Dämpfer versetzt, als sie stoppte. Ihre zierliche Hand schloss sich um meine große und verhinderte jede weitere Bewegung.

„Süße, ist alles in Ordnung?"

Meine Stimme sollte nicht besorgt klingen, doch sie tat es. Camila nickte und lächelte. Die Zärtlichkeit in ihrem Ausdruck zwang mein Herz in die Knie und schon wieder kämpfte ich dagegen an, die Fassung zu verlieren. Das kleine, verfliegende Geräusch meines Kusses auf ihren Lippen und unsere aufgeregten Atemstöße waren alles, was wir hörten. Bis Mila ihre Stimme hob.

„Mir geht es gut, wirklich. Es ist nur... Könnten wir heute vielleicht nicht... Ich würde dir einfach gerne nahe sein."

Ich musste leise lachen, während ich mit den Locken meiner Freundin spielte und mich so zur Seite rollte, dass mir ein Ellbogen als Stütze diente und ich ihr Gesicht inspizierte. Jede wunderbare Geschichte, die es zu erzählen hatte.

„Du bist der beeindruckendste Mensch... Das größte Wunder, das mir je begegnet ist. Weißt du das eigentlich?"

Camila senkte ihren Kopf, um ihn zu schütteln, doch das würde ich nicht zulassen. Ich umfasste ihr Kinn und ihre Wange mit meinen Händen und lechzte danach, mich erneut in ihren Augen zu verlieren.

„Du bist Liebe. Okay?"

Ein Kuss. Ein Atemzug. Pause.

„Shawn?"

„Ja, Baby?"

„Hältst du mich fest? Bis ich wieder kann?"

Ein Atemzug. Mein Herz, das brach und ihres, das es wieder zusammensetzte.

Ich küsste sie und schluckte noch einmal.

„Bis du wieder kannst."

Vor Camila wach zu werden, glich einem Geschenk. Ich fragte mich, wovon sie träumte und wünschte, sie würde öfter spüren, wie genug es war, wenn sie sich einfach selbst treu blieb. Sie hatte es nicht verdient zu denken, dass sie jemand anderer sein musste, um geliebt zu werden. Und wenn ich bis an mein Lebensende nur eine Sache hätte beweisen müssen, dann wäre es das Versprechen gewesen, dass ich verrückt nach ihr war. Nicht nach der, die überlebte, indem sie viel zu oft so tat, als ob alles in bester Ordnung wäre. Sondern nach ihr. Dem schlafenden Engel, den niemand zu sehen vermochte.

„Wie wäre es mit... ein bisschen Torte?", flüsterte ich dicht an ihrer Wange, kurz bevor ich Küsse darauf verteilte und ihren Duft einsog.

Camila schmunzelte und vergrub ihre Hand in meinem Haar. „Keinen Hunger."

Mit hochgezogenen Augenbrauen küsste ich sie und stand nur ein paar Augenblicke später vor ihr.

„Bist du sicher?"

Pause. Eine viel zu lange Pause.

Mein Mädchen nickte und warf mir eine Kusshand zu, bevor ich im Badezimmer verschwand.

Dass sie so viel zu quälen schien, wogegen ich nichts tun konnte, offenbarte sich mir, als ich zwanzig Minuten später wieder das kleine Schlafzimmer des Tourbusses betrat und es nicht wagte nach Luft zu schnappen. Camila kauerte zitternd und weinend auf dem Boden und während ich die Frau hielt, die ich liebte und beruhigende Worte in ihr Haar flüsterte, betete ich um Kraft, die uns zusammenhielt.

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Meine Lieben... Es tut mir leid, dass ich so lange untergetaucht bin, aber es ging nicht anders :( und ich muss mich korrigieren - Das ist das schlechteste Kapitel, das ich jemals geschrieben habe :O

Vielleicht mögt ihr es ja trotzdem. <3

All love,

Maggie <3

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