153: Probleme
Aubreys P.o.V.
Für mich brach eine Erde zusammen, als ich erfuhr, dass Mary meine Mutter nicht lokalisieren konnte. Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, aber ich bekam sofort Angst, als mir klar wurde, was das bedeutete. Wenn Mary, die mächtigste lebende Hexe in Amerika, meine Mom nicht finden konnte, dann konnte das niemand. Sie war verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Ich wollte es mir nicht vorstellen, welche Gründe es gab, wieso Mom weg war und nicht gefunden werden konnte. Aber ich konnte es nicht verhindern, mein Hirn spielte alle möglichen Szenarien durch, und das war nicht wirklich beruhigend. Ich versuchte, nicht zu zeigen, wie aufgewühlt ich war, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass mein Gesichtsausdruck so neutral war wie ich es mir vorstellte. Zumindest sah Phil mich ziemlich besorgt an. Das tat er meinem Geschmack nach viel zu oft in letzter Zeit. Auch wenn ich das irgendwie genoss. Es hatte mich schließlich noch nie jemand so angesehen wie er. Aber es war schon ein wenig merkwürdig, dass er es sofort bemerken konnte, wenn etwas mit mir war. Ich war für ihn wie ein offenes Buch. Vermutlich würde ich ihm nie etwas verheimlichen können. Das war schon ein wenig beunruhigend. Trotzdem vertraute ich ihm, also war das auch nicht so schlimm. Viel schlimmer war es, dass er es so auch jedes Mal bemerkte, wenn ich aus irgendeinem Grund traurig oder aufgewühlt war und sich sofort Sorgen machte. Aber ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um mich machen musste. Ich war so lange fast alleine klargekommen, ich würde auch mit dieser Situation fertig werden. Auch ohne seine Hilfe, ich war nicht darauf angewiesen. Doch wenn er so besorgt aussah, hatte ich immer sofort Schuldgefühle.
Jedes Mal, wenn ich diese kleine Sorgenfalte auf seiner Stirn sah, war ich gleichzeitig glücklich und traurig. Glücklich, weil ich ihm offensichtlich etwas bedeutete und er sich für meine Gefühle interessierte und traurig, weil ich nicht wollte, dass er wegen mir nicht glücklich sein konnte. Wegen mir war er ständig angespannt und in Sorge. Wegen mir waren er und alle anderen, die in diesem Haus wohnten, überhaupt in dieser Situation. Hätte ich einfach nichts gesagt, wäre nichts hiervon passiert und sie müssten keine Angst haben, dass meine Mutter uns vielleicht angreifen könnte. Ich hätte mich einfach zusammenreißen und das alleine mit Mom klären sollen. Nach so vielen Jahren hatte ich endlich die Möglichkeit, ein vernünftiges Gespräch mit ihr zu führen. Aber dafür war es jetzt zu spät. Ich hatte mich nicht getraut und diese Chance war verstrichen. Es brachte nichts mehr, sich Gedanken darüber zu machen, was passiert wäre, wenn ich mich anders verhalten hätte. Ich konnte ja jetzt eh nichts mehr daran ändern, das würde mich nur unnötig deprimieren. Außerdem sollte ich mir viel eher darum Gedanken machen, in welcher Situation ich jetzt gerade war und wie ich am schnellsten eine Lösung finden konnte, bei der niemand verletzt wurde.
Phil und seiner Mutter war wahrscheinlich auch schon klar geworden, was es bedeutete, dass man Mom nicht mehr lokalisieren konnte. Es gab nicht viele Gründe dafür. Entweder sie versteckte sich und wollte nicht gefunden werden, bis sie wusste, wie sie das Problem mit mir lösen konnte oder sie war tot. Den Gedanken verdrängte ich allerdings so gut es im Moment ging, ansonsten würde ich vor den beiden noch in Tränen ausbrechen. Aber es gab einen anderen möglichen Grund, warum wir Mom nicht finden konnten, den die beiden mit Sicherheit übersahen. Sie kannten nicht die Kraft, die unser Zirkel hatte. Ich kannte sie genau genommen auch nicht, aber Mom hatte mir oft genug erzählt, wie mächtig und gefährlich sie waren. Und deswegen war ich mir auch bei einer Sache ganz sicher. Wenn jemand mächtig genug war, um Moms Aufenthaltsort vor Mary zu verbergen, dann war das unser Zirkel. Es war gut möglich, dass sie meine Mutter gefunden hatten und sie nun festhielten. Und das nur wegen mir.
Als mir das bewusst wurde, stand ich sofort auf und ging unter einem Vorwand nach oben, wo ich mich auf mein Bett warf. Sobald ich alleine war, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte hemmungslos in mein Kissen. Wenn Mom jetzt wirklich gestorben war... Ich wollte mir das gar nicht vorstellen. Ich konnte immer noch ganz genau hören, wie sie ihre vielleicht letzten Worte an mich richtete. Du hast mich hintergangen. Das sollten wirklich die letzten Worte sein, die ich von meiner eigenen Mutter gehört hatte? Nein, das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein. Immer und immer wieder hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf. Sie klang so wütend, aber gleichzeitig auch schockiert und unsagbar enttäuscht. Ich hatte meine eigene Mutter hintergangen. Wieso war ich nicht einfach bei ihr geblieben? Wir hätten doch miteinander reden können. Das wäre die erste Gelegenheit gewesen, um wirklich mit ihr reden zu können, aber ich war in Panik geraten. Ich war einfach davongerannt. Und jetzt war Mom vielleicht sogar tot. Wie könnte ich mir das jemals verzeihen?
Nach einer Weile beruhigte ich mich allerdings wieder ein wenig. Leider ging es mir deswegen trotzdem noch nicht besser. Ja, meine Mom hatte ihre Fehler, aber niemand war perfekt. Sie war schließlich trotz allem immer noch meine Mutter. Was war ich nur für ein Mensch, dass ich meine eigene Mutter so hintergehen konnte? Aber vielleicht war sie ja auch gar nicht tot. Vielleicht gab es noch Hoffnung. Es war schließlich am wahrscheinlichsten, dass Mom "nur" entführt wurde. Von unserem Zirkel. Den Hexen, die mich umgebracht hätten, wenn Mom mich nicht beschützt hätte. Den Hexen, die jetzt auch Mom umbringen würden. Zumindest redete ich mir das ein. Das wäre besser als der Tod. Das würde bedeuten, dass es noch eine Chance für sie gäbe. Sie müsste nicht sterben. Ich hatte meine Mutter hintergangen, als ich ihr nicht einmal anvertraut hatte, wieso ich jetzt meine Stimme wieder hatte, aber das konnte ich wieder gut machen. Ich musste nur unseren Zirkel kontaktieren und meine Mutter retten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top