9. Kapitel
Freitagmorgens war ich sehr durcheinander. Ich hatte schlecht geschlafen und musste dauernd an Adrian denken. Wie er mich berührt hatte und was er von mir wollte.
Selbst John konnte mich heute nicht aufmuntern, obwohl er sich wirklich viel Mühe dabei gab. Wir verbrachten die Mittagspause wieder in einem Café und tranken Kaffee. John hatte sich ein Stück Kuchen bestellt.
"Der ist echt gut, hol dir auch einen", schmatzte er mit vollem Mund, während ich das Gesicht verzog, weil ich einen direkten Blick auf den zerkauten Kuchen hatte.
"Sprich gefälligst nicht mit vollem Mund!", maßregelte ich ihn halb lachend, halb angewidert. Das war das erste Mal am heutigen Tag, dass sich meine Mundwinkel nach oben bewegt hatten.
"Da ist mein heißgeliebtes Lächeln", prahlte John und ich musste schmunzeln. Es war sehr süß von ihm, zu versuchen, mich aufzumuntern.
Dennoch war meine gute Laune nur vorübergehend. Den restlichen Tag über war ich zwar nicht schlecht gelaunt, doch aufgrund meiner Müdigkeit hatte ich auch gewiss keine gute Laune mehr. Außerdem war ich verwirrt. Ich fühlte mich innerlich leer und wusste nichts mit mir anzufangen.
Der Leiter der Weiterbildung war gnädig und hatte deshalb beschlossen, uns einige Minuten nach der Pause zu entlassen, damit wir uns etwas von London ansehen konnten.
"Na, wie sieht's aus, machen wir ein wenig die Stadt unsicher?" John zwinkerte mir zu und stupste mich mit seinem Ellbogen an.
"Ich wünsch dir viel Spaß, aber ich werde einfach ins Hotel gehen und schlafen. Vielleicht sieht man sich ja später wieder." Den ganzen Freitagabend würde ich definitiv nicht im Hotel verbringen, doch im Moment wollte ich nichts sehnlicher als mich einfach in das weiche Bett im Hotel fallen zu lassen.
"Mensch, wie alt bist du, 80?", prustete John ungläubig. Beleidigt trat ich nach ihm, doch er wich mir geschickt aus. "Na gut, dann bring ich dich zum Hotel und wir können ja heute Abend etwas unternehmen. Ich gehe auf eine Veranstaltung mit meinem Chef, wenn du magst, kannst du mich ja begleiten." Während wir redeten, machten wir uns bereits auf den Weg nach draußen und schlenderten gemütlich zum Hotel.
"Ich überleg's mir. Eigentlich bin ich nicht so der Typ für sowas", sagte ich und blickte John entschuldigend an.
"Nicht der Typ für was?", hakte er nach.
"Für große Veranstaltungen oder viel Aufmerksamkeit. Was sowas angeht, halte ich mich lieber im Hintergrund", führte ich aus und ich sah, wie John verständnisvoll nickte.
"Verstehe. Mir ist es ganz zu Anfang auch schwer gefallen, aber mittlerweile gehört es für mich zum Beruf dazu, ab und an auf Veranstaltungen oder der ein oder anderen Gala aufzutreten", erklärte er mir. Ich konnte mir John in dem ganzen Getummel gut vorstellen. Er war eine Persönlichkeit, der es leicht fiel, Kontakte und auch Freundschaften zu knüpfen.
"Ich könnte mir das nicht vorstellen. Aber ich bin auch nicht in so einer wichtigen Position in der Firma, als dass ich in den Genuss kommen würde", gab ich zurück und dafür war ich insgeheim auch dankbar. Es musste ganz schön anstrengend sein, den ganzen Abend vor den Medien präsent zu sein, darauf bedacht, keinen Fehler zu machen. Ich würde allein schon daran scheitern, mir die Namen der Stars und Sternchen zu merken. Darin war ich grandios schlecht.
John und ich waren so in unser Gespräch vertieft, dass ich gar nicht mitbekam, dass das Hotel in Sicht kam. Erst als John stehen blieb blickte ich mich irritiert um und realisierte dann, dass ich ohne sein Mitdenken wahrscheinlich einfach weitergelaufen wäre.
"Oh man, für mich wird's wirklich Zeit zum Schlafen", sagte ich beschämt.
"Gibst du mir deine Handynummer? Dann können wir später spontan eine Uhrzeit zum Treffen ausmachen. Und vielleicht entscheidest du dich ja doch dafür, mit mir auf das Event zu gehen", sagte John hoffnungsvoll.
Ich gab John meine Nummer, wusste jedoch jetzt schon, dass ich nicht freiwillig auf dieses Event gehen würde. Dort waren mit Sicherheit eine Menge Kameras und ich wurde schon privat nicht gern fotografiert. John umarmte mich zum Abschied, bevor er nochmal winkte, sich schließlich umdrehte und aus meinem Blickfeld verschwand.
Drei Stunden später wurde ich von meinem Handywecker sehr unsanft aus dem Tiefschlaf gerissen. Müde rieb ich mir die Augen und hatte das merkwürdige Gefühl, mich nicht in meinem eigenen Körper zu befinden. Alles in mir verlangte danach, sämtliche Wecker auszuschalten und weitere zehn Stunden zu schlafen. Doch ich wollte auch noch etwas von London sehen, daher zwang ich mich mit all meiner Kraft unter die Dusche, um richtig wach zu werden.
Als ich frisch geduscht und in ein langes, weißes Handtuch gewickelt aus dem Bad kam, klopfte es an meiner Tür. Ich hatte nichts über den Zimmerservice bestellt und mich überkam eine dunkle Vorahnung. Rasch legte ich das Handtuch ab und zog mir einen flauschigen Bademantel über, bevor ich die Tür einen Spalt breit öffnete.
Meine Vorahnung bestätigte sich nicht gänzlich. Ich hatte meinen Chef erwartet, doch vor mir stand Rick.
Rick hatte wohl nicht damit gerechnet, mich in einem Bademantel vorzufinden. Sein Blick wanderte für eine einzige Sekunde überrascht über meinen Bademantel, bevor er mir eisern in die Augen starrte.
"Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte ich freundlich.
"Mr Burton hat mich gebeten, Ihnen die Garderobe für den heutigen Abend zukommen zu lassen", sagte Rick und erst jetzt fiel mir der Kleidersack auf, den er auf dem Arm trug und mir nun überreichte.
"Was steht denn heute Abend an?", fragte ich verwirrt und nahm den dunkelgrauen Kleidersack entgegen. Er war leichter, als ich angenommen hatte.
"Mr Burton nimmt heute Abend an einer geschäftlichen Verabredung teil und wünscht, dass Sie ihn begleiten, Miss", informierte mich Rick. "Er erwartet Sie pünktlich um 19:30 Uhr in der Eingangshalle." Ich bedankte mich bei ihm und schloss die Tür.
Ich ließ den Kleidersack auf mein Bett fallen und schnaufte verärgert. Natürlich war ich aus rein beruflichen Zwecken hier in London, doch es verärgerte mich schon ein wenig, dass ich die Information erst so kurzfristig erhalten hatte, obwohl ich schon einige Pläne hatte. Seufzend griff ich zum Telefon und wollte gerade John anrufen, als mir auffiel, dass ich seine Nummer gar nicht hatte, sondern nur er meine.
Ich brummelte vor mich hin und beschloss, mir erst einmal die Haare zu föhnen. Normalerweise waren meine dunkelbraunen, fast sogar schwarzen Haare so glatt, dass ich nicht mal mit einem Glätteisen nachhelfen musste. Ich entschied mich, mit einer Rundbürste leichte Wellen in meine Haare zu föhnen. Ich wusste nicht, dass ich hier ausgehen würde, daher hatte ich weder einen Lockenstab noch ein Glätteisen dabei.
Bevor ich mich für Unterwäsche entschied und mich schminkte, öffnete ich den Kleidersack, um das Kleid zu begutachten. Schließlich musste ich wissen, was dazu passen würde.
Als ich den Reißverschluss aufzog, klappte mir im selben Moment die Kinnlade nach unten. Noch nie in meinem Leben hatte ich so ein elegantes und edles Kleid gesehen.
Das Kleid war aus einem seidig glänzenden Stoff gemacht und smaragdgrün. Es war eher eng gehalten, doch ich sah auf den ersten Blick, dass es nicht an meiner Haut kleben würde. Das Kleid war schlicht und hatte Spagettiträger, doch als ich es vorsichtig in die Hände nahm und umdrehte, verschluckte ich mich. Ein tiefer Rückenausschnitt kam zum Vorschein, so tief, dass es schon fast unanständig war.
Ich entschied mich, eher dezentes Make Up zu verwenden, da das Kleid schon genug Aufmerksamkeit erregen würde. Für meinen Geschmack zeigte es viel zu viel Haut. Ich würde den ganzen Abend über Angst haben, dass etwas mehr als mein bloßer Rücken zu sehen sein würde.
Um kurz vor halb acht warf ich einen letzten Blick auf mein Handy. Ich war ein wenig enttäuscht, dass John sich nicht gemeldet hatte, allerdings hätte ich ihm sowieso absagen müssen. Also griff ich nach meinem Täschchen, legte mir eine dünne Jacke über den Arm, zog meine Pumps an und machte mich auf den Weg nach unten.
Als sich die Aufzugtüren öffneten und ich den Aufzug verließ, konnte ich deutlich die Geräusche meiner Absätze auf dem Boden hallen hören. Mein Blick flog wie automatisch zu Adrian, als würde er magnetisch angezogen werden. Er stand mit dem Rücken zu mir und telefonierte. Selbst von hier aus konnte ich seine dunkle, raue Stimme vernehmen und mich überkam ein leichter Schauer.
Als er meine Schritte wahrnahm, drehte er sich um und erstarrte auf der Stelle. Er musterte mich wie ein Tiger seine Beute. Hungrig ließ Adrian seinen Blick über meinen Körper wandern und sah mir schließlich in die Augen. Ich musste unwillkürlich leise aufkeuchen. Das war das erste Mal, dass ich etwas anderes in seinen Augen ausmachen konnte als Kälte. Ich konnte Begierde sehen und das ließ mich erzittern.
„Wow", murmelte er, als ich vor ihm stand. „Du siehst atemberaubend schön aus, Gianna."
Ich errötete leicht und bedankte mich bei ihm.
„Du hast absolut keine Ahnung, wie sehr mich dein Anblick erregt", knurrte er mir plötzlich ins Ohr und legte mir seine Hand in den Rücken. „Dieser Ausschnitt ist so unanständig tief, ich müsste bloß ein wenig tiefer gleiten, dann könnte ich deine Weiblichkeit spüren, Liebes."
Flammende Hitze schoss in meinen Kopf und ich war mir sicher, dass ich aussah wie eine Tomate.
Ich wandte mein Gesicht ab, um zu verbergen, wie sehr mich seine offenen Worte beschämten. Beschämten und erregten zugleich.
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