46. Kapitel
Nate war nicht begeistert, als ich ihn um diese Uhrzeit weckte, doch als ich ihm mitteilte, dass Adrian verhaftet worden war, klang er hellwach.
„Okay, beruhig dich. Ich regel das, Gianna", sagte Nate und es war keine Spur von Schalk in seiner Stimme zu hören. „Hast du ihn gefragt, auf welchem Revier er sitzt?"
Ich schlug mir die Hand vor die Stirn. „Nein", murmelte ich peinlich berührt.
„Macht nichts", sagte Nate. „Ich telefoniere jetzt ein wenig und wenn ich mehr weiß, rufe ich dich an."
Damit legte er auf.
„Ich hätte ihn niemals gehen lassen dürfen", stammelte ich kaum vernehmbar. „Das ist alles meine Schuld, oh Gott!"
„Das ist nicht deine Schuld, Gianna", sagte Elli streng. „Adrian hat für sich selbst entschieden, als er beschlossen hat, diesen Mistkerl zu stellen."
„Aber was ist, wenn das ganze hier böse endet? Er kann doch unmöglich wegen mir ins Gefängnis wandern", sagte ich mit brüchiger Stimme.
„Leute wie Adrian wandern nicht einfach so ins Gefängnis, Baby", antwortete Elli. „Er sitzt bestimmt nicht mal in einer Zelle."
„Meinst du?"
„Ich würde meinen halben Hintern drauf verwetten. Er gehört zu den einflussreichsten Menschen New Yorks, die werden sich hüten, ihm irgendetwas unangenehmer als nötig zu machen", versuchte Elli mich aufzubauen. Ein klein wenig funktionierte es sogar.
„Okay, wir machen uns jetzt fertig, falls wir los müssen. Also los, ab unter die Dusche mit dir, du siehst furchtbar aus." Elli scheuchte mich die Treppe hoch.
Mein Handy nahm ich vorsichtshalber mit und stellte es so laut wie möglich, um ja keinen Anruf oder keine Nachricht zu verpassen. Ich brauchte nicht lange, da ich meine Haare nicht waschen musste. Keine Viertelstunde später saß ich wieder angespannt auf dem Sofa im Wohnzimmer. Weder Nate noch jemand anders hatte sich gemeldet.
„Du musst ihm ein bisschen Zeit geben", sagte Elli hinter mir und ich schreckte zusammen, da ich sie nicht hatte kommen hören.
Genau in dem Moment klingelte mein Telefon. Ich sah Nate's Namen auf dem Display und ließ mein Handy beinahe fallen, weil ich so schnell abheben wollte.
„Weißt du was Neues?", platzte es sofort aus mir heraus. Im Hintergrund hörte ich sofort Verkehrsgeräusche heraus, was bedeuten musste, dass Nate im Auto saß.
„Ich weiß wo er ist. Bin gerade auf dem Weg zu ihm, zusammen mit einem der besten Anwälte der Stadt", sagte Nate knapp. „Wir werden ihn da schon rausholen."
„Welches Revier?", fragte ich, während ich versuchte, mir mit einer Hand die Schuhe zuzubinden.
„Vergiss es. Du wirst da nicht aufschlagen wie eine durchgeknallte Ehefrau, also verrate ich dir es erst gar nicht."
Ich hielt inne. „Das ist nicht dein Ernst", fluchte ich.
„Und ob. Ich will ihn da so schnell wie möglich rausholen und ich möchte danach nicht verprügelt werden, weil du in der Zwischenzeit verhaftet wurdest, weil du versucht hast das Revier zu stürmen oder so", brummte Nate.
„Das würde ich nicht tun", widersprach ich, doch ich musste zugeben, dass ich vermutlich wirklich wie eine Irre in dieses Revier stürmen würde.
„Merkst du selbst, was?", gab Nate zurück. „Ich bin jetzt da. Ich meld mich bei dir, Gianna."
„Warte!", rief ich und ich hörte Nate aufstöhnen.
„Was denn?", fragte er sichtlich entnervt.
„Adrian hat mir nicht gesagt, wieso er verhaftet wurde", sagte ich zögerlich. Für einen Moment war es still in der Leitung, bevor Nate seufzte.
„Wegen Mord, Gianna." Diese Worte waren wie ein eiskalter Kübel Wasser, der über mich geschüttet wurde. Ich bekam kein Wort heraus. „Wir hören uns." Nate legte auf.
„Und?", fragte Elli neugierig. Dieses Mal hatte ich das Gespräch nicht auf laut gestellt.
Mit leicht geöffnetem Mund sah ich meine beste Freundin an, während mein Puls raste. Das konnte unmöglich stimmen. Niemals würde Adrian sowas tun - obwohl ... er hatte gesagt, dass er ihn umbringen würde. Aber das war doch bloß eine Floskel, oder etwa nicht?
Ich spürte, wie mir mein Mageninhalt hochkam und ich sprintete die Treppe nach oben. Gerade noch rechtzeitig beugte ich mich über die Toilette, während mein Magen sich verkrampfte. Mit einer Hand umklammerte ich die Toilette und mit der anderen hielt ich meine Haare zusammen.
Zwei Hände legten sich um die Hand, die meine Haare hielt. Dankbar ließ ich meine Hand sinken, während Elli meine Haare hielt und mir beruhigend über den Rücken strich. Trotzdem entging mir nicht, dass sie selbst ein leises Wüggeräusch von sich gab. Elli konnte Erbrochenes einfach nicht vertragen.
Nachdem ich mir wortwörtlich die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, ließ ich mich mit dem Rücken an der Wand auf den kühlen Boden sinken, während Elli die Spülung betätigte. Sie war leicht grün um die Nase.
„Was ist passiert?", fragte sie und füllte meinen Zahnputzbecher mit Wasser, damit ich mir den Mund ausspülen konnte. Nachdem ich das getan hatte, sah ich sie an.
„Adrian wurde wegen Mord verhaftet", hauchte ich und eine Träne lief mir stumm über die Wange.
Elli war genauso geschockt wie ich. Ohne ein Wort setzte sie sich neben mich und nahm meine Hand.
„Wir wissen nicht, ob es stimmt", war das Erste, was sie sagte.
„Wieso ist er denn sonst verhaftet worden?", zweifelte ich.
„Vielleicht war er nur zur falschen Zeit am falschen Ort", spekulierte sie.
„Er wollte zu André", sagte ich. „Was, wenn er ihn aus seiner Wut heraus getötet hat?"
„Dann bin ich ihm so lange wir beide leben dankbar", antwortete Elli, woraufhin ich sie verstört ansah. „Natürlich will ich nicht, dass Adrian in den Knast geht. Allein deswegen nicht, weil du dann wieder zu einem Häufchen Elend mutierst und ich das nicht ertragen kann, dich so leiden zu sehen. Trotzdem wäre ich unendlich dankbar, wenn dieser Bastard André endgültig aus unserem Leben verschwunden wäre."
„Adrian war es nicht, egal wer tot ist. Sowas würde er nicht tun", sagte ich fest überzeugt und schlug mich innerlich dafür, dass ich auch nur eine Sekunde an ihm gezweifelt hatte.
„Lass uns einfach abwarten. Dieser Nate meldet sich bestimmt bald wieder und wer weiß, vielleicht bringt er ja deinen Adrian mit", versuchte Elli mich zum Lächeln zu bringen. Ihr zuliebe rang ich mir ein halbherziges Schmunzeln ab.
Die nächsten Stunden waren unerträglich. Nate meldete sich nicht und die Wachmänner ließen uns nicht aus dem Haus. Grummelnd musste ich feststellen, dass vor jeder Tür und vor jedem Fenster ein Mann stand.
„Wie viel Uhr haben wir?", gähnte Elli und rieb sich die Augen.
Ich sah auf mein Handy. „7:43 Uhr", antwortete ich. Auch ich spürte, wie mein Körper nach Schlaf verlangte, doch ich weigerte mich, dem nachzugeben, bevor ich wusste, was mit Adrian war.
Um kurz vor acht klingelte mein Handy. Es war Nate.
„Und?", fragte ich mit bangen Blick. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen.
„Es sieht nicht gut für ihn aus", sagte Nate zögerlich und mir wurde sofort wieder schlecht. „Sein Anwalt ist noch drin und versucht, ihn auf Kaution rauszuhandeln. Aber es wird einen Prozess geben. Er weigert sich, ein Geständnis zu unterschreiben."
„Dann war er es auch nicht", sagte ich heftig.
„Gianna, die Polizei hat genügend Beweise um das Gegenteil zu bezeugen. Sie haben die Mordwaffe, sie haben seine DNA am Tatort und sie haben ein Motiv. Das reicht, um ihn wegen Mord an André vor Gericht zu bringen."
Mir wurde eiskalt. „Das kann einfach nicht sein", murmelte ich und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. „Das glaube ich nicht."
„Warte mal kurz, Gianna. Sein Anwalt kommt", sagte Nate plötzlich und ich realisierte, dass er sein Handy an seine Brust hielt, damit ich das Gespräch nicht mitbekam. Wütend starrte ich auf mein Handy, während Elli vor lauter Nervosität an ihren Fingernägeln knabberte.
„Bist du noch da?", fragte Nate nach einer Weile.
„Natürlich", fuhr ich ihn ungeduldig an. Es war nicht fair ihm gegenüber. „Tut mir leid", murmelte ich daher.
„Sie wollen ihn einige Tage in Haft behalten, um das Fluchtrisiko einschätzen zu können", sagte Nate und mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Die Kaution wird nicht billig, falls er sich gut verhält."
„Okay", murmelte ich. Die Kaution schätzte ich momentan als unser geringstes Problem ein. „Wie geht es ihm? Kann ich mit ihm sprechen?"
„Ich glaube nicht, dass du das möchtest. Er ist nicht gut drauf", sagte Nate zögerlich.
„Ist noch etwas vorgefallen?", fragte ich nervös.
„Der Anwalt hat ein Gespräch aufgeschnappt, das die Polizei mit der Staatsanwaltschaft geführt hat", sagte Nate langsam.
„Und?", sagte ich ungeduldig.
„Wenn der Prozess beginnt, wird die Staatsanwaltschaft auf First degree murder plädieren." Plötzlich vernahm ich Nate's Stimme nur noch blechern.
„Und das heißt?", fragte ich zittrig, während meine Lippen bebten.
„Wenn er schuldig gesprochen wird, kriegt er eine lebenslange Haftstrafe ohne Chance auf Bewährung."
Mein Handy rutschte mir aus der Hand und fiel auf den Boden. Ich hörte den Display zersplittern, doch ich war wie in Trance.
Das konnte unmöglich wahr sein. Mir wurde plötzlich bewusst, was das bedeutete, wenn er schuldig gesprochen würde.
Adrian würde im Gefängnis sterben.
ENDE
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