11. Kapitel

Die restliche Fahrt über nahm ich wie betäubt wahr, dass Adrian einige Male versuchte, mit mir zu sprechen. Doch ich hörte bloß ein Rauschen in meinen Ohren und starrte aus dem verdunkelten Fenster. Was zur Hölle hatte ich da bloß getan? Wieso hatte ich mich darauf eingelassen?

Ich spürte, wie eine Panikattacke meinen Hals hochkroch und mir die Luft abschnürte. Verzweifelt kämpfte ich dagegen an, denn das war das Letzte, was ich gerade gebrauchen konnte.

Mit einem Ruck kam der Wagen zum Stehen und riss mich somit aus meinen Gedanken. Es wurde eine Tür geöffnet und Adrian stieg als Erster aus. Ich vernahm viele laute Rufe und viel Klicken, woraufhin viele Lichter erschienen. Innerlich sank ich kläglich in mir zusammen. Kameras. Am liebsten hätte ich mich ganz tief in das weiche Leder gedrückt, damit ich nicht aussteigen musste, doch ich wusste, dass es nicht funktionieren würde.

Ich atmete drei Mal tief ein und aus, bevor ich mir innerlich eine Ohrfeige gab und meine Beine aus dem Wagen schwang. Das plötzliche Blitzlichtgewitter, welches dann über mir hereinbrach, überforderte mich maßlos. Ich blinzelte, doch konnte nichts erkennen. Langsam aber allmählich wurde mir schwindlig. Benommen nahm ich einen Arm neben mir wahr, der mir angeboten wurde und als wäre es ein Rettungsring, klammerte ich mich wie eine Ertrinkende daran fest.

"Lächel einfach, den Rest mache ich", hörte ich Adrians Stimme und dann erst wurde mir bewusst, dass es sein Arm war, an dem ich mich festhielt.

Ich gab mein Bestes, lieb zu lächeln und nicht zu stolpern. Stück für Stück liefen wir über den Teppich, blieben mal hier und mal da stehen. Adrian beantwortete einige Fragen, andere wiederum ignorierte er geflissentlich.

"Ist das Ihre Freundin, Mr Burton?", hörte ich viele Reporter rufen. Adrian hatte die Frage bis jetzt ignoriert, doch sie wurde immer und immer wieder gestellt.

"Nein. Das ist eine meiner talentiertesten Nachwuchskräfte in meinem Unternehmen, die hier an dem Weiterbildungsprogramm teilnimmt. Außerdem sind wir aus einem wichtigeren Grund heute hier anwesend. Bitte keine weiteren Fragen", antwortete er kurz und bündig und irgendwie war ich ihm sehr dankbar, dass er meinen Namen nicht genannt hatte. Ich hatte keine Lust, später im Internet Bilder von mir zu finden, wie ich verschreckt und gezwungen lächelnd neben ihm stand oder gar Kommentare über mich zu lesen.

Als wir das Ende des Teppichs erreicht hatten und durch eine riesige Glastür gelassen wurden, verstummte augenblicklich das Klicken der Kameras und das Stimmenwirrwarr. Zittrig atmete ich auf. Das war definitiv nichts, was ich wiederholen wollen würde. Ich sah mich um und erblickte direkt eine Damentoilette.

"Bitte entschuldige mich, ich gehe mich kurz frisch machen", krächzte ich und floh so schnell es ging auf die Damentoilette.

Ich stützte mich am Waschbecken ab und versuchte, meine Atmung zu beruhigen. Ich konnte immer noch nicht richtig sehen, da durch das viele Blitzlicht lauter weiße Punkte vor meinem Sichtfeld tanzten.

"Ist alles in Ordnung?", wurde ich angesprochen. Ich sah auf und erkannte eine Frau in einem dunkelblauen Kleid, die mich mit ihren ebenfalls blauen Augen besorgt musterte.

"Ja, ich ... ich musste nur - keine Ahnung." Ich war viel zu durcheinander, um einen vernünftigen Satz zu bilden.

"Das erste Mal auf dem roten Teppich?", fragte sie mitfühlend. Ich nickte gequält. "Verstehe, ich war beim ersten Mal auch sehr verstört. Es ist alles sehr erdrückend, nicht?"

"Ich hoffe, ich muss das nie wieder machen", sagte ich und hörte, wie heiser meine Stimme klang.

"Irgendwann gewöhnst du dich daran. Bist du in Begleitung hier?", fragte sie aufmunternd.

"Naja, ich bin eher die Begleitung. Ich bin mit meinem Chef, Mr Burton, hier", antwortete ich und auf einmal grinste die Frau.

"Na das ist ja ein Zufall! Ich wollte Adrian schon seit Wochen besuchen. Komm, wir gehen zu ihm und suchen uns einen Tisch, wo du dich hinsetzen und erstmal was trinken kannst", sagte sie und deutete auf die Tür. Sie schien Adrian offensichtlich zu kennen, doch es wunderte mich nicht. Er hatte wahrscheinlich sehr viele Geschäftspartner und Freunde in der ganzen Welt.

"Sind da drin noch mehr Kameras?", wollte ich kleinlaut wissen.

"Ein paar, aber sie sind nicht so aufdringlich. Sie machen ein paar Fotos vom Abend, aber sie werden sich mehr auf die Geschäftsmänner fokussieren als auf uns", erklärte sie mir freundlich. "Mein Name ist übrigens Alice. Alice Burton."

Verwirrt schnellte mein Kopf zu ihr und ich runzelte die Stirn.

Sie lachte bei meinem Gesichtsausdruck, während wir die Damentoilette verließen. "Adrian ist mein kleiner Bruder. Er ist wirklich hundsgemein, er hatte mir gesagt, dass er nicht herkommen würde", schimpfte sie.

Du meine Güte. Da war ich also wirklich Adrians Schwester in die Arme gelaufen. Jetzt, wo ich es mir überlegte, hätte es mir auffallen müssen. Ganz klar der gleiche Genpool.

"Und wie heißt du?", fragte Alice Burton und ich nannte ihr daraufhin meinen Namen. "Ein schöner Name. Bist du in Amerika geboren?"

"Ja, ich komme ursprünglich aus Texas. Ich bin wegen meinem Beruf nach New York gezogen", erklärte ich.

"Ich vermisse New York. Ich bin seit einem Jahr geschäftlich hier in London, weil ich meine eigene Modekollektion entwickle, aber wohne eigentlich auch in New York."

Sie hakte sich bei mir ein und zusammen schritten wir durch den großen Eingangsbereich.

"Darf ich fragen, was das für eine Veranstaltung ist? Mir gegenüber wurde nichts erwähnt", sagte ich und sah Alice neugierig an.

"Es ist eine Spendengala. Die Veranstalter organisieren sie mehrmals im Jahr für unterschiedliche Themenbereiche in unterschiedlichen Städten. Heute geht es um misshandelte Kinder", erklärte mir Alice und ich hörte aufmerksam zu, während sie mir alles über die Gala berichtete.

"Ah, da ist er. Adrian! Adrian!", rief Alice und Adrian, der mit dem Rücken zu uns stand, drehte sich um.

"Du bist ein gemeiner Lügner, Adrian", sagte Alice und küsste ihren Bruder auf die Wange. "Wieso hast du mich angelogen?"

"Weil es nicht sicher war, dass ich kommen konnte. Ich würde dich niemals anlügen, Schwesterherz", lächelte Adrian und drückte seine Schwester. Ich sah ihn zum ersten Mal aufrichtig lächeln und konnte sehen, dass er seine Schwester mit sehr viel Wärme betrachtete. "Wie ich sehe, bist du meiner Begleitung schon über den Weg gelaufen. Ich hoffe, Alice hat dich nicht zu sehr genervt", sagte er an mich gewandt.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf, während Alice protestierend schnaubte. "Wieso hast du sie alleine gelassen, als sie so in Panik war? Du weißt doch selbst noch genau, wie es dir beim ersten Mal ging. Also wirklich Adrian, ich schäme mich ja regelrecht für dich", wurde Adrian plötzlich von seiner großen Schwester gescholten.

"Das ... Das ist doch nicht der Rede wert", stammelte ich und spürte, wie meine Wangen sich erneut erröteten. Ich war noch nie so oft an einem Abend rot geworden.

"Geht es dir gut, Gia?" Adrian sah mich prüfend an und ich nickte nur verlegen. "Na gut, gehen wir zum Tisch. Das Programm geht sicherlich gleich los."

Ich ließ Adrian und seiner Schwester den Vortritt und lief hinter ihnen her, bis wir am Tisch angekommen waren. Es saßen bereits sieben weitere Personen an dem Tisch; vier Männer und drei Frauen.

"Guck mal, wen ich gefunden habe, Liebling", sagte Alice und ging zu einem der Männer und küsste ihn. Erst dann fiel mir der Ring auf, der ihren Finger schmückte.

"Adrian, Kumpel, wie gehts?", sagte dieser und grinste Adrian breit an.

"Darf ich meine Begleitung vorstellen, das ist Gianna Maxwell, sie arbeitet für mich", stellte Adrian mich vor, nachdem er Alice' Mann begrüßt hatte, der, wie es sich herausstellte, Brad hieß. Ich wurde begrüßt und mir wurden sehr viele Namen genannt, die ich jedoch nach einer Minute bereits wieder vergessen hatte.

Ich war sehr glücklich über meinen Sitzplatz. Ich saß zwischen Adrian und Alice, sodass ich die meiste Zeit mit Alice und ihrem Mann sprach. Adrian war meistens in Gespräche mit den anderen Geschäftsmännern am Tisch verwickelt, sodass ich nicht wirklich viel mit den fremden Menschen zu tun hatte.

Bis das Programm startete, erfuhr ich sehr viel über Alice und Brad, da beide sehr gesprächig waren. Alice war momentan dabei, ihre eigene Modelinie zu entwerfen, während Brad ein erfolgreicher Staranwalt war. Neben ihren beruflichen Erfolgen fühlte ich mich zunächst sehr mickrig, doch beide interessierten sich wahnsinnig für die Weiterbildung und für meinen Job, was ich unglaublich freundlich fand.

Plötzlich wurde ich von hinten angetippt und ich drehte mich überrascht um. Ich kannte hier niemanden außer Adrian, Alice und Brad.

"John? Was machst du denn hier?", fragte ich überrascht und stand auf, um ihn zu begrüßen. Er gab mir einen leichten Kuss auf die Wange.

"Ich habe dir doch erzählt, dass ich heute Abend eine Veranstaltung besuche. Ich wollte dich anrufen, doch da habe ich erfahren, dass dein Name auf der Gästeliste steht. Wie ich sehe hast du mich für eine andere Begleitung sitzen lassen?", fragte er belustigt und ich wusste, dass er es mir nicht im Geringsten übel nahm.

"Darf ich fragen, wer da gerade mit meiner Begleitung flirtet?" Ich konnte Adrians Körperwärme spüren, da er dicht hinter mir stand.

"John Carter, Sir", sagte John selbstbewusst und hielt Adrian seine Hand entgegen.

"Adrian Burton, freut mich." Die Männer gaben sich einen festen Händedruck und ich hatte den Eindruck, dass es Adrian ganz und gar nicht freute. Als ich wieder zu John sah, merkte ich, wie seine Züge etwas respektvoller geworden waren. Offensichtlich war Adrian kein Unbekannter für ihn. "Woher kennen Sie Miss Maxwell?"

"Oh, wir besuchen gemeinsam die Weiterbildung und verbringen die Pausen miteinander, Sir", antwortete John selbstbewusst und lächelte mir zu. Ich hätte alles dafür gegeben, dass er den letzten Teil des Satzes nicht laut ausgesprochen hätte.

"Sie sollten besser zu Ihrem Tisch gehen, es geht jetzt los", antwortete Adrian und schob mich bei den Worten in die Richtung unseres Tisches.

"Auf Wiedersehen", sagte ich und gab John noch eine flüchtige Umarmung, bevor ich mich wieder setzte. Adrian nahm nur Sekunden nach mir seinen Platz wieder ein. Der Moderator auf der Bühne begann zu sprechen und die gesamte Aufmerksamkeit des Publikums richtete sich nun nach vorne.

"Wie kommst du dazu, in aller Öffentlichkeit mit einem anderen Mann zu flirten?", raunte mir Adrian leise ins Ohr und nahm einen großen Schluck von seinem Champagner.

"Ich habe nicht -", fing ich an, doch ich wurde unterbrochen.

"Oh doch, du hast. Er hat dich geküsst, und wag es ja nicht, das zu leugnen", knurrte er, wobei er seine Lippen kaum bewegte und die Augen starr auf die Bühne gerichtet hielt.

"Das war doch nur eine normale Begrüßung", murmelte ich nervös zurück.

"Ach ja? Begrüßt du jeden Mann in deinem Leben so?"

Ich sah ihn beleidigt an. "Du sagst das so, als wäre ich in deinen Augen ein billiges Flittchen, welches von einem Mann zum nächsten springt. Dabei stimmt das nicht. Was ist so schlimm an einer netten Begrüßung? Außerdem ist es ja nicht so, als hätte ich ihn auf die Wange geküsst", zischte ich zurück. Wofür rechtfertigte ich mich hier überhaupt? Es ging absolut niemanden etwas an, wie ich Freunde begrüßte.

"Ich weiß ganz genau, dass er seine Lippen lieber woanders hingelegt hätte", knurrte Adrian und leerte sein Glas, welches im selben Atemzug von einem vorbeilaufenden Kellner wieder befüllt wurde.

"Und wenn schon", gab ich zurück. "Er wird es nicht tun, weil ich es nicht möchte." Mit diesen Worten drehte ich meinen Kopf wieder nach vorne und das Gespräch war für mich beendet. Für meinen Geschmack benahm sich mein Chef gerade wie ein Kindergartenkind.

"So eifersüchtig hab ich meinen Bruder ja schon lange nicht mehr gesehen", kicherte Alice leise in mein Ohr.

Mit geröteten Wangen sah ich aus den Augenwinkeln zu ihr und Brad hinüber und konnte sehen, dass beide Gesichter ein feixendes Grinsen schmückte. "Das stimmt nicht. Wir haben uns über die Arbeit unterhalten", schwindelte ich.

"Sicher doch", schmunzelte die blonde Schönheit.

"Ich bitte um einen herzlichen Applaus für Mr Adrian Burton!" Ich hatte den Moderator die ganze Zeit über ausgeblendet, wofür ich mich schämte. Es war ein sehr wichtiges Thema, welches hier behandelt wurde und ich hatte bisher kein Wort mitbekommen. Dabei ging mir das Thema persönlich sogar nah.

Die Menge klatschte und im ersten Moment verstand ich nicht, wieso. Doch dann wurde mir klar, dass Adrian soeben als der Hauptspender verkündet wurde.

Ich sah aus den Augenwinkeln zu Adrian rüber, der den Applaus mit einer Handbewegung abtat und freundlich in die Kameras lächelte. Der Moderator hatte die Summe, die Adrian gespendet hatte, nicht genannt, doch mir war klar, dass sie immens hoch sein musste.

Der Abend ging schnell vorüber und als ich mich von Alice und Brad verabschieden musste, ertappte ich mich dabei, dass ich mir wünschte, dass der Abend noch nicht endete. Alice erinnerte mich stark an Elli und es tat gut, mit ihr zu reden und zu lachen. Sie hatte unbewusst dafür gesorgt, dass ich nicht eine Minute mehr über die Hinfahrt nachgedacht hatte.

Jetzt, als Adrian und ich wieder in der Limousine saßen, kamen meine Gedanken wieder hoch.

"Dein Kopf raucht ja schon", unterbrach Adrian schmunzelnd meine Gedanken. "Dir sollte es nicht peinlich sein. Ich kann dir noch so viel mehr geben, wenn du mich nur lässt."

"Ich - Das war ein Fehler, es wird nicht nochmal geschehen", platzte es aus mir heraus. "Es ist einfach nicht richtig, du bist mein Chef ..."

"Was, wenn wir bis zum Heimflug so tun, als wäre ich nicht dein Chef?" Verwirrt blickte ich ihn an, bis mir klar wurde, dass er mir gerade eine Affäre anbot. Mir klappte der Mund auf.

Ich fand keine Worte für dieses Angebot und schüttelte nur vehement meinen Kopf. Danach starrte ich stur aus dem Fenster, bis wir vor unserem Hotel hielten.

Gemeinsam stiegen Adrian und ich in den Aufzug. Als ich gerade dabei war, den Aufzug zu verlassen, hielt mich Adrian am Ellbogen fest.

"Ich hoffe sehr, dass du es dir anders überlegst." Er leckte sich über die Lippen, während er mich feurig ansah. "Komm zu mir. Heute Nacht, Gianna. Das wirst du nicht bereuen, das verspreche ich dir."

"Tut mir leid", murmelte ich zurück und wich seinem Blick aus.

"Schade. Und ich hatte mich schon so darauf gefreut, meinen Kopf zwischen deinen Beinen zu vergraben."

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