Kapitel 16 - Beruhigungstee

Yukines Streicheln über seinen Rücken war so sanft und gleichmäßig, dass Kaito sich mit der Zeit immer mehr entspannte. Der Fae stellte keine Fragen und machte keine Anstalten, sein Tun zu unterbrechen. Er spendete Trost und Nähe, was Kaito einerseits begrüßte und wonach er sich immer gesehnt hatte, andererseits musste er zugeben, dass es ungewohnt und verwirrend war.

Verwirrend, weil er es überhaupt nicht kannte, dass sich jemand so um ihn sorgte. Ihm so viel Aufmerksamkeit schenkte, wenn er sie besonders benötigte. Kaito fühlte sich so unglaublich wohl und sicher bei Yukine. Zumindest in diesem Moment. In seiner Umarmung, dicht an ihn gepresst, sodass sein betörender Geruch in Kaitos Nase steigen konnte.

Er hüllte ihn ein. Dieser Winterduft nach frostiger Luft, Kiefernzapfen und Tannen. Wie sehr er sich in diese subtile Süße verliebt hatte, die ihn an den klaren Himmel und die winterliche Stille erinnerte. Eine Mischung aus Holzrauch, gebrannten Mandeln und Gewürzen. So schön und fast schon vertraut.

Kaito merkte gar nicht, wie er wegdämmerte. Sein Griff, mit dem er sich die ganze Zeit an Yukines offenes Hemd geklammert hatte, lockerte sich langsam. Schließlich fiel er. Er fiel in einen ruhigen, aber traumlosen Schlaf. Erst, als Yukine sich rührte und die angenehme Wärme verschwand, öffnete er blinzelnd die Augen.

»Schlaf ruhig weiter«, hörte er den Fae sagen, bevor er von ihm auf den Arm genommen wurde. »Ich wollte dich nur gänzlich aufs Bett legen.« Das tat Yukine auch. Langsam ließ er Kaito in die Mitte des Bettes sinken, bettete seinen Kopf in eines der Kissen und deckte ihn schließlich zu.

»Gehst du?«, presste Kaito heraus. Seine Stimme klang selbst für ihn fremd und seltsam. Zudem kämpfte er mit den erneut aufsteigenden Tränen, die sich bildeten, weil er Angst davor hatte, allein zu bleiben. Bereits jetzt fehlte ihm die beruhigende Wärme, die er die ganze Zeit genossen hatte.

»Nein, ich komme gleich zu dir wieder«, versicherte Yukine ihm, dann beugte er sich zu ihm vor und küsste seine Stirn. »Kann mich nur schlecht in diesem Aufzug zu dir legen.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen, dann richtete er sich auf und schaltete die Nachttischlampe an.

»In Ordnung …«, antwortete Kaito und schluckte das Gefühl herunter, das sich gebildet hatte. Diesen seltsamen Kloß, der ihm im Hals gesteckt hatte. »Ich warte.« Er zog die Decke höher und blickte Yukine hinterher, während er den Raum verließ. Beim ausschalten des Deckenlichtes sagte er: »Bis gleich, Rotschopf.«

Der Spitzname, der Kaito zu Beginn verärgert hatte, ließ ihn in diesem Moment unwillkürlich lächeln. Es bereitete ihm ein wohliges Gefühl, jedes Mal, wenn Yukine ihn aussprach. Ein freudiges Kribbeln, das sein Herz ein wenig höher schlagen ließ. Kein Wunder also, dass er sich Hals über Kopf in diesen Fae verliebt hatte.

Kaito schloss die Augen und machte es sich bequem. Er konnte hören, dass Yukine in seinem Büro war und sich wahrscheinlich umzog. Doch statt danach direkt zu ihm ins Bett zu kommen, schien der Fae andere Pläne zu haben. Er machte einen Stopp in der Küche, schien dort Wasser zu kochen. Das Piepsen des Kochers war nicht zu überhören.

Doch wenig später stand er tatsächlich wieder im Schlafzimmer, schob die Tür hinter sich zu und setzte sich an den Rand des Bettes. »Du hast lange gebraucht.« Kaito lugte zu ihm.
»Ich habe dir einen Tee gemacht, falls du willst«, erklärte Yukine und stellte den noch offenen Thermobecher auf den Nachttisch.

Dampf stieg daraus auf, duftend nach Lavendel. Yukine schien genau zu wissen, was in diesem Moment richtig war. Seine Fürsorge rührte Kaito nur noch mehr.
»Das ist wirklich lieb von dir«, flüsterte Kaito und versuchte, sich aufzusetzen. Er fühlte sich träge und schlaff, was eindeutig nicht die Schuld des Alkohols war. Davon spürte er nun nichts mehr.

»Mein Partner hatte damals für jede Beschwerde den passenden Tee parat.« Wehmütig sah Yukine den Thermobecher an, bevor er sich Kaito zuwandte und an ihn heran rutschte. Anders als zuvor trug der Fae nun ein einfaches, kurzärmliges Shirt, dank dem man seine trainierten Oberarme sehen konnte. Und dazu eine einfache Jogginghose von Kaito. Natürlich in schwarz. Kleidung, in der er schlief.

»Du meinst den Heiler, den du erwähnt hast?«, fragte Kaito vorsichtig. Er war sich nicht sicher, ob Yukine darüber reden wollte; ob er überhaupt reden wollte. Erst kürzlich hatte er gesehen, wie der Fae auf der Couch im Büro gesessen hatte, dieses Bild in seinen Händen haltend. Kaito war sich nicht sicher, was in Yukine vorgegangen war, jedoch hatte er in diesem Moment so gebrochen ausgesehen. So unendlich traurig.

»Ja, den meine ich.« Diesmal schenkte Yukine ihm ein kleines Lächeln. Seine Augen erreichte es jedoch nicht gänzlich. Zu sehr dominierte darin der Schmerz. »Jedenfalls … Ich dachte, dass er dir guttun würde.«
»Du bist wirklich aufmerksam.« Das ließ die Mundwinkel des Fae noch ein Stückchen weiter in die Höhe zucken.

»Geht es dir etwas besser?«, fragte Yukine und legte seine Hand auf Kaitos Beine, die jedoch unter der Decke versteckt waren. Seine dunkelblauen Augen musterten ihn, während er geduldig auf eine Antwort wartete.
»Ja, dank dir«, entgegnete er schließlich und legte seine Hand auf die des Fae. »Weil du so reagiert hat, wie du es getan hast …«

Yukine kratzte sich mit der freien Hand über den Nacken. Erst da bemerkte Kaito, dass er sich seine langen, weißen Haare zu einem lockeren Zopf zusammengebunden hatte. Vermutlich, um zu verhindern, dass sie sich in der Nacht völlig verknoten konnten.
»Ich habe eher das Gefühl, dass ich überhaupt erst Schuld an dieser Situation bin.« Er sah etwas bedrückt drein und Kaito kämpfte mit sich und der Wahrheit.

»Ja und nein. Deine Worte waren ein Auslöser, aber der Grund ist ein anderer«, flüsterte Kaito und senkte den Blick auf ihre Hände. Nervös begann er mit den Fingern des Fae zu spielen, während er überlegte, wie viel er Yukine erzählen konnte und wollte.
»Du musst mir davon nicht erzählen, zwinge dich nicht.«

»Doch, ich will …« Er schluckte schwer. »Nur weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Ich brauche etwas Zeit.« Zeit, um sich zu sammeln und Mut zu fassen. Ein Stück seiner Vergangenheit preisgeben, das neben seiner Therapeutin kaum jemand zur Gänze kannte. Nicht einmal Amara, der er vieles anvertraut hatte.

Kaito sah zu dem Tee und noch bevor er seine Hand danach ausstrecken konnte, tat Yukine es bereits.
»Aber Vorsicht, es ist noch heiß«, sagte er und reichte ihm den schwarzen Thermobecher, den Kaito fast jeden Tag mit zur Arbeit nahm. Er war etwas abgenutzt, doch er funktionierte nach wie vor einwandfrei.

»Danke«, antwortete er, nahm ihn an sich und holte tief Luft. Seine Lungen füllten sich mit dem nach Lavendel duftenden, warmen Dampf, der daraus aufstieg. Er seufzte zufrieden und nippte langsam an dem heißen Getränk. Der Geschmack war angenehm und wohlbekannt. Immer wenn Kaitos Nerven mit ihm durchgingen, machte er sich eine Tasse mit diesem Tee. Er half bei Unruhen und Schlafstörungen und war eine Empfehlung seiner Therapeutin.

»Wirst du mir im Gegenzug mehr von dir erzählen?« Kaito lugte zu Yukine herüber. Der Fae schien ihn die ganze Zeit im Blick zu behalten. »Nicht heute. Aber ich weiß so gut wie nichts über dich«, erklärte Kaito. Verdammt, er wusste nicht einmal, wie alt Yukine überhaupt war.
»Frag mich, was auch immer dich interessiert. Aber ich kann dir nicht versichern, dass ich dir alles beantworten kann. Noch nicht.«

Kaito nahm noch einen Schluck. Der Tee wärmte ihn von innen und bereits jetzt hatte er das Gefühl, dass die Unruhe sich langsam verflüchtigte. Doch lag es auch an Yukine. Seiner Anwesenheit, seiner Stimme und den kleinen Berührungen seiner Hand.
»Das ist in Ordnung. Nur so viel, wie du bereit bist …«

Er lächelte und nickte.
»Abgemacht«, sagte Yukine schließlich. Kaito trank noch etwas, dann verschloss er den Becher und stellte ihn ab. Anschließend klopfte er neben sich auf das Bett.
»Legst du dich zu mir?« Nickend erhob Yukine sich, sodass Kaito die Decke zurückziehen konnte. Gleich danach nahm er neben Kaito Platz und rutschte noch etwas näher an ihn heran.

Die beiden Männer machten es sich gemütlich und Kaito konnte nicht anders, als sich an Yukine zu kuscheln. Genauso wie zuvor schmiegte er das Gesicht an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Rhythmisch, beruhigend.

Irgendwann wurde Yukines Atem langsamer, entspannter und Kaito vermutete, dass der Fae dabei war, einzuschlafen. Als er sich etwas bewegte, seinen Kopf hob, um Yukine anzusehen, schob der Fae seinen Arm zwischen Kaitos Beine und zog ihn gänzlich an sich.

»Kannst du nicht schlafen?«, murmelte er leise und drehte sich auf den Rücken. Da er Kaito nach wie vor festhielt, zog er ihn mit sich. »Vielleicht sollte ich das Licht ausschalten.« Yukine gähnte und zog seinen Arm wieder zurück. Nach ein paar Versuchen schaffte er es, das Licht zu löschen, ohne alles vom Nachttisch zu fegen.

Im Raum wurde es dunkel, sodass Kaito in den nun fast gänzlich schwarzen Raum hinein blinzeln musste. Die Decke wurde höher gezogen und zwei starke Arme schlossen sich um ihn.
»Das Licht war eigentlich nicht das Problem«, sagte Kaito schließlich.
»Was denn dann?«
»Ich wollte lediglich diesen Abend auskosten. Es ist schon länger her, dass ich neben jemandem geschlafen habe.«

Yukine schwieg, dann glitt seine Hand an Kaitos Kopf und er vergrub seine Finger in den roten Haaren.
»Bei mir ebenfalls. Und ich genieße es gerade sehr.« Kaito grinste breit. Die Aussage war genau das, was er gehofft hatte, zu hören zu bekommen.
»Gleiches gilt auch für mich …«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top