23 Die andere Seite.

┊  ┊  ┊           ★ ISABELL

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„Hawaii muss warten."

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, da atmete Harry schwer aus. Seine Haltung entspannte sich und ich verzog das Gesicht: „Man könnte meinen, dass du fest davon ausgegangen bist, ich säße schon im Flugzeug."

„Nein", wehrte Harry ab, nur um im nächsten Moment zu zugeben: „Na ja, die Wahrscheinlichkeit, dass du sagst: „Ist mir alles zu irre", war höher als eine Das-macht-mir-alles-nichts-aus-Haltung."

„Das ist mir ehrlich gesagt auch alles etwas zu irre", sprach ich, „aber man kann reinwachsen, nicht wahr?"

Harry musterte mich ernst: „Manchmal funktioniert das tatsächlich so. Es gibt allerdings zu all den Wahnsinn ein paar Optionen, die wir nutzen könnten. Wir müssten uns nur für eine entscheiden."

Ich wollte wissen, welche das wären und er erklärte mir, dass es zwei Arten gäbe, wie wir die Herausforderung wuppten und ich war froh darüber, dass ich mir nicht alleine den Kopf darüber zerbrach.

„Jetzt sofort?", horchte ich und Harry verneinte: „Nicht jetzt, aber bevor ich auf Tour gehe auf jeden Fall. Zumindest, wenn du nicht vorher schon die Nase voll hast."

Leicht zog ich ihn am Hemdkragen ein wenig zu mir und spürte das starke Flattern in der Magengegend, als auch Harry seine Arme um mich schlang. Er roch nach Haarspray und ich sprach: „Man könnte meinen, du wartest nur darauf, dass ich schreiend abhaue, so zuversichtlich, wie du bist."

Sein Zögern verriet ihn.

„Mach dir nicht ins Hemd", versuchte ich ihn aufzumuntern. „Du hast selbst gesagt, wir haben Optionen für das ganze Zusatzgepäck, das du so mitbringst."

„Was ist mit deinem?", sprach Harry belustigt. „Das fängt schon damit an, dass deine Freunde mich nicht mögen."

Sofort hielt ich dagegen: „Quatsch, sie kennen dich nur noch nicht richtig und waren beim Dreh alle mega pissig, weil sie alle was anderes vorhatten und schnell fertig sein wollten."

„Hm...", antwortete Harry gedehnt mit Skepsis.

Ich wollte nicht, dass er das anders sah: „Wenn du Zeit hast, solltest du am 22 Dezember mit zum Deaf Slam kommen."

„Was ist ein Deaf Sl-"

Bevor er seine Frage zu Ende formulieren konnte, wurde Harry just unterbrochen, man rief ihn zurück zur Anprobe und ich verstand nur die Hälfte. Irgendwas davon, dass man seinen Hintern von hier bis Timbuktu treten würde, wenn er nicht bald aus dem Quark käme.

„Wenn wir jetzt losrennen, dann schaffen wir zusammen den Flieger nach Hawaii, scheiß auf den Pass", raunte er und machte tatsächlich die Anstalt jetzt verduften zu wollen.

„Mister Harry Styles, sofort!", dröhnte die weibliche Stimme nun unmissverständlich und Harry wirkte als wäre er wieder sieben und von seiner Mutter gemaßregelt worden. Die Frau, die nun in den Flur trat, hätte durchaus seine Mutter sein können.

Sie sah aus, wie eine echte Goldie Hawn, blond, Schmollmund und gekleidet im 40er Jahre Look, sahe sie nicht so aus wie jemand, den man warten ließ. Ihr Blick brannte Harry Löcher in den Rücken und als sie mich bemerkte, da veränderte sich ihr Mienenspiel.

Selbstbewusst trat sie auf uns zu und stellte sich vor: „Wir kennen uns noch nicht, ich bin die neue Stylistin von One Direction und habe die undankbare Aufgabe diese übergroßen Kinder einzukleiden und sie anständig anzuziehen, wenn sie über irgendwelche roten Teppiche laufen."

Sie ergriff meine Hand und schüttelte sie, schließlich setzte sie energisch hinzu: „Auf den Brettern der Welt dürfen sie auch nicht aussehen, wie Zuhälter!" 

Das letzte Wort brüllte die blonde Dame förmlich und unterbrach so ihre elegante Art zu reden. Ich konnte nicht anders, ich musste lachen, weil ich automatisch an Harrys Freund denken musste, der sich genau so kleidete.

„Ich bin Judy", stellte sich die in schwarz gekleidete Stylistin vor. „Und wenn du mich nicht herausfordern willst, dann schaffst du Schmalzlocke besser zurück zur Arbeit, Schätzchen." Damit machte sie auf dem Absatz kehrt. „Na los, ich will hier nicht anfangen Photosynthese zu betreiben."

„Wir können immer noch fliehen, bei drei, zwei-", begann Harry, aber Judy hörte ihn: „Du kommst nicht mal bis zum Fahrstuhl, Schmalzlocke. Also versuch es erst gar nicht."

Grinsend zog ich Harry an der Hand hinter Judy her: „Je schneller du die Anprobe hinter dich bringst, desto eher bist du fertig." Und vielleicht hatten wir dann noch Zeit, um über die Optionen zu reden.

Er schien einen ähnlichen Gedanken zu haben: „Danach gehen wir essen und du erklärst mir, was ein Deaf Slam ist, ja?" 

Damit betraten wir den Raum, in den Judy verschwunden war. Als Erstes sah ich nur ein Meer an Kleiderstangen mit Klamotten, dann zwei improvisierte Umkleidekabinen und zahlreiche Spiegel und Lampen mit unterschiedlichen Beleuchtungsstärken.

Links gab es eine Sitznische mit einer breiten L-Förmigen Couch, mehrere Sitzsäcke und zwei niedrigen Tischen, die sich unter Futtermaterial und Drinks nur so bogen. Judy kommandierte zwei Aushilfen herum, während in der Sitznische ein Teil der Restband von One Direction lümmelte, inklusive eine junge Frau, die ich von Twitter und dem ersten One Direction-Konzert kannte.

„Leute, das ist Isabell, seid nett zu ihr", erklärte Harry und ich fühlte mich etwas unbehaglich. Dieser Liam im Zuhälterstil sah nur einen Moment auf, dann widmete er sich Paschamäßig wieder seinem Handy.

Sunnys Liebling, war zumindest so freundlich und lächelte, dann nickte er knapp: „Lo'!"

Und da dachte ich, dass meine Freunde unhöflich wären.

Louis kam aus eine der Umkleiden, er trug einen schwarzblauen Anzug und der stand ihm unglaublich gut. Das schien auch Judy so zu sehen, denn sie wollte nur noch die Hose abstecken lassen. Louis selbst sprach: „Hallo." Immerhin ein ganzes Wort.

Neben mir rollte Harry mit den Augen und wandte sich mir zu: „Ich entschuldige mich für die mangelnder Reaktionsfähigkeit meiner verwöhnten Freunde. Beachte das einfach gar nicht. Außer Eleanor, die ist nett und anständig."

Die junge Brünette hatte sich erhoben und trat lächelnd auf mich zu: „Ich kann Harry nur zustimmen, die einzige Entschuldigung, die man vorbringen könnte, ist die Tatsache, dass die Jungs seit fünf Stunden nur Klamotten anprobieren."

Okay, das war in der Tat sehr lang und würde auch an meiner guten Laune zerren.

„Eleanor, also so heiße ich", stellte sich die Hübsche überflüssigerweise noch einmal vor. Ihr Blick ging kurz unsicher zu Harry und dann sprach sie zu meiner Verblüffung: „Wenn ich zu schnell spreche oder so, dann sag mir das ruhig. Ich... ähm... kann das nämlich nie einschätzen."

Diese unverblümte Ehrlichkeit traf mich völlig unvorbereitet. „Äh, so wie es im Moment ist, ist es gut."

Judy machte eine ärgerliche Geste und Harry riet mir, mich mit Eleanor auf die Couch zu setzten. Dort machte Niall mehr Platz, während Liam einfach weiter anstaubte.

„Bediene dich", sprach sie und deutete auf das Knabberzeug und den zahlreichen Trinkflaschen. Unsicher griff ich nach einem Wasser und bemerkte, dass Eleanor mich musterte. Ich räusperte mich und wollte das ignorieren, doch sie überrumpelte mich auch in diesem Moment.

„Tut mir leid, aber... darf ich fragen?", sprudelte es aus Eleanor heraus. „Das klingt total bescheuert, aber stimmt es, dass du Harrys Gesäge in der Nacht nicht mitbekommst?"

„Nicht wirklich", gab ich zu. „Als er das erste Mal bei mir übernachtet hat, habe ich geglaubt, er denkt nur, er würde schnarchen. Aber letzte Woche habe ich eine Hausarbeit in der Nacht geschrieben und als er weggedöst war-", ich machte eine Handbewegung, „-es ist, als würde man einen Trecker die Nacht laufenlassen." Ich hatte meine CI's schließlich abgemacht, sonst hätte ich mich nicht konzentrieren können.

Alleine die Vorstellung schien Eleanor unglaublich witzig zu finden und dann erzählte sie mir überschwänglich: „Wenn die Jungs im Tourbus mit Harry unterwegs sind, dann schläft Louis immer mit  Lärmschützer, die auf dem Bau benutzt werden."

„Ist das nicht etwas übertrieben?", fragte ich, doch Eleanor sah mich absolut ernst an: „Das, ist noch gar nichts. Harry hat Glück, dass er mit dem Leben davon gekommen ist, Louis hat in einer Nacht nur zufällig Niall mit einem Kissen in der Hand umgerissen. Katastrophe abgewendet."

Niall, der hinter Eleanor saß, erklärte: „Wochen... was denkste... wie lange man... froh... nächstes Mal entkommt..., verlass disch drauf!"

Und da war es wieder, das Problem Niall zu verstehen. Der reinste Lückentext, inklusive dem Akzent. So schnell konnte ich mir den Sinn nicht zusammen puzzeln und deshalb blieb ich dabei mich auf Eleanor zu konzentrieren. „Du bist aufgehalten worden, Horan, und das ist alles was zählt. Sei dankbar, dass du wegen heimtückischen Mordes nicht im Knast sitzt."

„Ich hät'... geklagt... Richter... für... entschieden", behauptete Niall und das verstand ich endlich einmal. Er setzte noch hinzu: „Liam... Knastbruder."

„Ja", stimmte Eleanor zu. „Wer hält bei euch dann den Hintern hin? Im Moment siehst du nämlich eher so aus, als würde du ohne Sex auskommen und nicht dein Zellennachbar. Der steht ja jetzt schon voll unter Entzug."

Nun sahen alle Liam an, doch der reagierte nicht. Stattdessen stierte er weiter auf sein Handy. Ich runzelte die Stirn und murmelte: „So sieht es also aus, wenn einem die Seele aus dem Körper gezogen wird, während man sich von Technik steuern lässt."

Neben mir schlug Eleanor die Beine übereinander und schien nur schwer einen Lachkrampf unterdrücken zu können: „Gewöhne dich dran, das ist die Standarthaltung, wenn wir alle erst einmal ein paar Stunden am Flughafen festsitzen."

„Kommt das oft vor?", horchte ich und sie antwortete: „Wenn du oft mit auf Tour bist, dann ja."

Ich wusste überhaupt noch nicht, ob ich mir vorstellen könnte eine Tour-Reise zu machen und gar Zeit zu haben. Immerhin hatte ich in London genug zu tun. Zu meinem Glück kam Harry nun im Anzug aus der Kabine und sorgte für Ablenkung.

Just in dem Moment, als ich ihn in diesem Anzug zum ersten Mal sah, musste ich haltlos und laut auflachen. Das konnte er unmöglich ernst meinen! Er trug einen rosa Flitzeranzug, mit einer Schlaghose und einem flauschigen Hemd unter dem Sakko. Dazu gab es noch zahlreiche Nähte mit stacheligen Glitzersteinchen.

Harry musste auf einen Sockel und sah mich ratlos an: „Was?"

Was? Sah er das nicht selbst?

„Du siehst aus, als hättest du für diesen Anzug ein Einhorn gehäutet", sprach ich offen und ehrlich und stand auf. „Guck dich mal an, ich meine, ich weiß, das du gerne auffällige Dinge trägst, wenn du irgendwo offizielle Auftritte hast und auch solo auf der Bühne stehst, aber... das sagt: My little Pony is dead!"

„Quatsch!", fand Harry und zog die Schultern zurück. „Steht mir doch richtig gut."

„Nein", wehrte Judy ab. „Dein Schätzchen hat recht. Deiner Extravaganz in allen Ehren, doch dieses Ding ist ein Verbrechen."

Beleidigt verzog Harry das Gesicht und ich fühlte mich prompt schlecht: „Tut mir leid, ich bin das nicht gewohnt, dich in solchen Klamotten zu sehen."

Harry musterte sich noch einmal im Spiegel, dann zog er sich das grausame Jackett von den Schultern: „Ist schon in Ordnung, du bist nur ehrlich." Er reichte die Jacke einer Angestellten und fragte: „Was denkst du, was ich anziehen sollte, wenn wir formal irgendwo erscheinen müssen?"

„Ich fand den roten Anzug gut, den ich auf deinen Instagram gesehen habe. Allgemein die Anzüge, die nicht geglitzert haben, aber du solltest tragen, was du möchtest und dir gefällt", gab ich zu und ruderte ein paar Schritte zurück. Darüber dachte Harry nach: „Also bist du eher für den Klassiker."

Judy durchsah die Kleiderstangen und zog drei weitere Exemplare heraus. Sie wandte sich uns zu: „Probieren wir eine andere Richtung."

Ich bemerkte, dass sie eher matte Stoffe ausgewählt hatte und kurz lächelte sie mich an. Harry ging gelassen zurück in die Kabine und als ich mich hinsetzte, da fragte Eleanor: „Denkst du, ein little Pony hat gereicht um diesen Anzug herzustellen?"

Ohne mich dagegen wehren zu können, fing ich an sie wirklich zu mögen. Sie hatte einen lockeren Humor und war scheinbar die Einzige hier, die halbwegs freundlich zu Neulingen war. Ab und an mischte sie sich bei Louis ebenfalls bezüglich der Anzüge ein. Doch anders als Harry, ließ Louis sich gerne reinquatschen, was er anzuziehen hatte.

Völlig gelassen hörte er ihr zu und nahm jeden Ratschlag an. Judy schien sich zu entspannen und schien froh zu sein, dass sie mit Louis keinen Stress hatte. Die Beratung mit Liam verlief da ganz anders. Er wirkte nicht richtig anwesend, hatte an allem etwas auszusetzen und sein Ton war seltsam harsch.

Leider verstand ich nicht, was sein Problem war, da er zu schnell sprach, doch ich schien mit dieser Beobachtung nicht alleine zu sein. Niall erhob sich schließlich und meinte: „Liam... draußen." Mit den Kopf nickte er zur Tür. Beide verließen den Ankleideraum und ich versuchte das Fragezeichen aus meinem Gesicht zu wischen.

Also blickte ich auf die Kabine, in die Harry verschwunden war und als er in einem roten Anzug raus trat, im schwarzen Hemd und auf den Hocker trat, da musste ich im ersten Moment lächeln. Denn der Anzug stand ihm fantastisch. Er sah toll aus.

Der kleine Augenblick der Bewunderung hielt jedoch nicht lange an. Judy trat zu ihm, setzte einige Nadeln und wies ihn darauf hin in den nächsten Monaten nicht unnötig zu zunehmen. Danach wurde die Anzughose abgesteckt.

Ich musterte Harry, seine Haltung veränderte sich und irgendwie verschwand der junge Mann, den ich mit einen Regenschirm angegriffen hatte, Stück für Stück. Woran das lag, konnte ich nicht sagen, ich wusste nur, dass ich einem blöden auffälligen Anzug die Schuld dafür gab. Dabei war es unsinnig so zu denken.

Harry bemerkte meine Musterung im Spiegel, sein Blick traf mich und er grinste. Ich kannte das Grinsen, es war vertraut und gleichzeitig auch nicht. Der Knoten in meinem Magen wurde größer und wuchs heran, wie ein hässliches Geschwür.

„Was sagst du, Schätzchen?", riss Judy mich aus meiner Beobachtung. Ich zwang mich, die Miene zu verändern und gab zu: „Sexy."

„Nur sexy?", triezte Harry mich und machte einen auf Elvis Presley. Dabei stürzte er fast vom Hocker und fing sich Ermahnungen von Judy ein. Angestrengt atmete sie tief durch und gab ihren Mitarbeiterinnen Anweisungen, ehe sie sich Louis zuwandte.

Mein Blick glitt über die Leute. Von diesem Aufpasser Jerry, zu Louis und Eleanor, zu den helfenden Angestellten, bis zu Harry. Ich wollte Harrys andere Leben kennenlernen, das würde nicht ausbleiben und ich zwang mich, mir nicht gefühlt 1000 Gedanken zu machen. Doch trotzdem hörte ich immer wieder Harrys Stimme, die mir verriet, dass wir Optionen hatten.

Hätte ich gewusst, wie schwarz und weiß diese Optionen waren, dann hätte ich mir nicht die Mühe gemacht meinen ganzen Optimismus zusammenzukratzen. 

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