Fünfunddreißig

Manchmal denke ich, das Schicksal oder Gott lenken uns absichtlich zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort. Ob nun, weil wir etwas lernen sollen oder weil wir etwas erleben sollen – egal. So stehe ich am Samstagabend zur falschen Zeit am falschen Ort.

Vor etwa drei Stunden habe ich Aiden zu Bett gebracht, der noch immer von Mittwochabend schwärmt. Sein Dad hat ihm sogar versprochen, morgen mal mit ihm ein wenig Football zu spielen. Da mein Hals sehr trocken ist; ich habe die letzten Tage damit verbracht, Cinderellas Rolle immer und immer wieder durchzugehen(klar, die Rollen stehen noch nicht fest, aber für den Fall, dass ich sie bekomme, möchte ich vorbereitet sein), daher ist meine Stimme so ziemlich tot; löse ich mich von meinen Biohausaufgaben und laufe in die Küche, um mir ein Glas Wasser einzuschenken.

Ich öffne gerade den Schrank mit den Gläsern und ziehe den Hocker hervor, da ertönt von draußen eine Stimme. Männlich, tief, älter, erwachsen.

„Du weißt, dass das nicht so einfach ist, Claude." Es ist Paul. Ich erkenne ihn an seinem Akzent und der Art und Weise, wie er spricht. Selbstbewusst, dennoch eine Spur verständnisvoll. Stimmt, Khan hat erwähnt, dass das Training heute ausfällt. Für einen Moment flackert mein Blick zum Fenster. Es ist gekippt. Die beste Idee wäre vermutlich so schnell wie möglich diese Küche zu verlassen.

Anstelle dessen klettere ich auf den Hocker und hole ein Glas aus dem Schrank. Vielleicht redet er leiser weiter und ich bekomme nichts weiter mit. Ich habe wirklich Durst.

„Ich werde es ihnen sagen." Seine Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich halte in der Bewegung inne. Da klingt kein Selbstbewusstsein mehr mit, viel mehr... Angst, Unsicherheit. Paul und unsicher? So wie ich ihn kennengelernt habe – mal ausgenommen unsere erste Begegnung an der Bushaltestelle – kennt er dieses Wort gar nicht.

„Wirklich", betont er. Unfassbar, dass ich jedes seiner Worte klar und deutlich hören kann. Mein Hirn sagt mir, ich solle Reiß aus nehmen. Schnell! Aber meine Beine bewegen sich nicht. Was wird er wem sagen? Mein Herz setzt kurz aus, als ein Husten ertönt. Dann atme ich tief durch, erinnere mich, dass er draußen steht und nicht weiß, dass ich ihn belausche. Noch nicht jedenfalls.

„Nein." Dieses Wort erinnert mich unglücklicherweise an meine Reaktion auf die Frage, wieso ich meinen Freunden nicht die Wahrheit sage. Kalt; irgendwie endlich.

„Es wird sie kaputt machen. Kerstin... Sie kann damit nicht leben." Beinahe lasse ich das Glas fallen, dass ich eben in die Hand genommen habe. Kerstin? Was könnte Kerstin zerstören? Diese Frau ist so voller Lebensfreude, es würde mich wundern, wenn sie überhaupt jemals geweint hätte.

„Natürlich muss ich es ihnen sagen. Mensch, Claude." Ich stelle mir vor, wie sich Paul verzweifelt durch die Haare fährt. An seiner Stelle wäre mir fast ein Seufzen entschlüpft. Was auch immer es ist, dass er ihnen sagen muss, es kann nichts gutes sein.

Leise stelle ich den Hocker weg. Ich fülle das Glas mit Wasser, hoffe, dass er merkt, dass ihm jemand zuhört. Fehlanzeige. Die Verzweiflung lässt Paul draußen vermutlich alle Geräusche um ihn herum ausblenden.

Ich werfe einen Blick hinaus, kann dank meiner Größe, die ich von meinem Dad geerbt habe, sogar seinen Kopf erkennen. Seine Augen zieren tiefe Augenringe, er beißt sich auf die Lippe. Wer wohl dieser Claude ist?

Das nächste, das er sagt, bringt mich dann tatsächlich dazu, das Glas fallen zu lassen.

„Wie soll ich das machen? Wie soll ich meiner Familie sagen, dass ich sterben werde?" Da er es förmlich in die Welt hinaus schreit, müssten es jetzt auch die Nachbarn wissen. Ich jedenfalls mache große Augen – blicke zwischen ihm und dem hin und her, was von dem Glas übrig ist. Scherben. Überall Scherben.

Eine schöne Metapher.

Paul wird... sterben? Wie bitte? Das kann nur ein Scherz sein. Als ich das nächste Mal hinaus starre, empfangen mich seine Augen bereits. Erwischt.

Ich schlucke. Unwichtig zu erwähnen, dass jeder im Umkreis eines Kilometers seine Worte gehört haben muss. Oh Gott, Aiden. So sollte er jedenfalls eine solche Nachricht nicht erfahren.

Pauls Augen lenken mich allerdings von Aiden ab. Sie haben diesen Ausdruck. Diese Verzweiflung. Er weiß es. Er weiß, dass ich das Mädchen bin, das ihm damals an der Bushaltestelle begegnet ist. Es ist derselbe Blick.

Und plötzlich ergibt alles einen Sinn.

Herzinfarktrisiko.

♡♡♡

Its short deshalb gibts gleich noch eines xxx

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