Einundvierzig

Ich soll recht behalten. So mache ich es mir schließlich mit meinem dritten Bier im Wohnzimmer gemütlich, als sich zwei Hände auf meine Schultern legen. Ich erkenne direkt, wem diese Hände gehören, an der Art, wie seine Berührung ein warmes Kribbeln an besagter Stelle auslöst. Mein Blick ist leicht schwammig, als ich seine Finger begutachte. Sie sind... schön.

„Khan?" Seine Hände bleiben auf meinen Schultern liegen, als ich nach oben schaue.

„Du bist verkehrt herum", lache ich.

„Und du hast Alkohol intus", gibt er leicht amüsiert zurück. Offensichtlich. Ich schnaube, was einige Stellen meines Körpers, die heute sichtbarer sind als sonst, dazu führt, sich zu bewegen. Sein Blick flackert, für einen Moment glaube ich, seine Augen wandern an eine Stelle, an die sie nicht gehören, aber ehe ich ihn tadeln kann, hat er sich über die Couch geschwungen, auf der ich sitze und lehnt jetzt neben mir. Eilig ziehe ich mein Kleid zurecht, auch wenn es mir plötzlich nicht mehr so viel ausmacht wie noch vor einer Stunde.

„Hm, eine betrunkene Prinzessin. Mal sehen, wie sehr sie der nüchternen Stew ähnelt." Ich schüttle nur den Kopf und nehme noch einen Schluck.

„Ich bin nicht betrunken." Es stimmt. Noch fühle ich mich eigentlich ziemlich normal. Er hätte mich letztes Jahr erleben sollen. Freitagsabends war ich ab und an echt randvoll und musste von Darren nach Hause getragen werden. Im Nachhinein verdammt peinlich.

„Nummer drei?", Khan deutet auf meinen Pappbecher. Ich nicke.

„Hast du mitgezählt?" Ein spöttischer Kommentar liegt mir auf der Zunge, aber ich kann ihn nicht ganz fassen.

„Nö, war bloß geraten." Er stellt ein spitzbübisches Grinsen zur Show. Anscheinend findet er unsere Unterhaltung sehr unterhaltsam.

„No offense, aber was stellt dein Kostüm dar?", will ich wissen, nach einer Ablenkung suchend. Immerhin bin ich für heute Abend mit dem Alkohol verabredet. Das Ziel ist, zu vergessen. Khan mag das noch nicht wissen, aber ich bin mir sicher, dass ich den heutigen Abend morgen komplett vergessen haben werde. Ungläubig starrt er mich an. Er trägt einen ziemlich hässlichen altertümlichen Anzug, dessen Ärmel fehlen und damit seine massiven Oberarme präsentieren, und eine Krone auf dem Kopf. Kommt mir bekannt vor. Ich versuche nicht allzu auffällig auf seine Oberarme zu starren.

„Dein Hirn muss schon ziemlich benebelt sein", stößt er hervor. Vielleicht hat er ja doch recht. Ich strecke ihm spielerisch die Zunge heraus. Im Gegenzug nimmt er mir meinen Becher weg.

„Hey!" Er mustert den Inhalt, riecht daran und verzieht das Gesicht. Das sieht wahnsinnig lustig aus und ich verkneife mir nur mit Mühe ein Lachen.

„Gib mir meinen Becher wieder", fordere ich. Dann, beleidigt und etwas leiser:

„Und sag mir, was du darstellst." Sein Lachen ist Glocken klar.

„Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass es offensichtlich ist. Immerhin matchen wir."

„Wir matchen?" Ich versuche mich zu erinnern, was ich trage. Unauffällig blicke ich an mir hinab. Ein hellblaues Kleid und eine Krone. Kurz darauf sehe ich ihn an. Ein löchriger Anzug ohne Ärmel und eine Krone. Natürlich. Ich stöhne. Wir matchen wirklich.

„Ach, Charming."

„Aber ich muss sagen, du gibst eine sehr interessante Prinzessin ab." Jetzt streckt er mir die Zunge heraus. Ich habe das Gefühl, er wirft erneut einen kurzen Blick in meinen Ausschnitt. Sei's drum. Mein Getränk hat er noch immer nicht zurück gegeben und langsam werde ich ungeduldig. Ich kneife die Augen zusammen und fixiere den Becher.

„Das Kleid steht dir." Irgendetwas sagt mir, dass er das ernst meint. Für einen Moment konzentriere ich mich dann doch auf seine Augen. Sie sind ganz dunkel.

„Danke", sage ich, ohne recht drüber nachzudenken. Das Kleid steht mir? Verwirrt blicke ich an mir hinunter. Ich fühle mich nach wie vor nackt – auch wenn mir das mittlerweile nicht mehr allzu stark zusetzt.

„Mir gefallen deine Arme", gebe ich zurück, denke, das sei ein faires Kompliment. Der Ausdruck auf seinem Gesicht bestätigt dies allerdings nicht. Khan lacht schallend los.

„Du bist wirklich interessant, wenn du getrunken hast." Erneut begutachtet er den Becher in seiner Hand. Ich verdrehe wieder die Augen und mache Anstalten aufzustehen.

„Interessant ist die kleine Schwester von schei-", er schneidet mir das Wort ab.

„Was ist das, Bier?", will er wissen, abgelenkt.

„Wenn du mir den nicht zurück gibst, hole ich mir eben einen neuen", grummle ich. Doch bevor ich mich ganz aufrichten kann, hat er mich an der Taille gepackt und zurück auf die Couch gezogen. Mein Herz schlägt heftig. Ich sitze jetzt mit dem Rücken zu ihm auf seinem Schoß, sodass er nicht sehen kann, wie rot ich werde. Die Art, wie seine Hände an meiner Taille liegen, benebelt mich beinahe mehr als es der Alkohol tut.

Für einen Moment sitze ich wie erstarrt. Er löst sich nicht von mir. Die Welt um uns herum scheint stehen zu bleiben. Unauffällig lehne ich mich an ihn. Er ist so warm. Sein Duft hüllt mich ein und für eine Sekunde erwäge ich, hier und jetzt einzuschlafen. Nur um in seinen Armen liegen zu bleiben...

Hilfe, was tue ich hier? Schnell erinnere ich mich an mein eigentliches Vorhaben für diesen Abend, ignoriere den Teil meines Gehirns, der mir Mariahs Worte von Montag ins Gedächtnis ruft. Ich bin nicht in Khan verliebt! Ich nutze die Gelegenheit, dass Khan nicht aufpasst, und es gelingt mir, ihm den Becher zu entreißen. In wenigen Schlucken habe ich ihn geleert. In meinem Kopf prickelt es.

„Wow. Das ging schnell." Hinter uns steht Andrea. Sie trägt einen Hexenhut und ein lilafarbenes Kleid. Hübsch, aber einfallslos. Immerhin kann ich die Steinchen ausmachen, die sich als Gürtel um ihre Taille schlingen. Oder sind es Diamanten? Vielleicht auch eine Naht. Ich kneife die Augen zusammen.

Khans Blick liegt unverwandt auf mir. Ich bin mir nicht sicher, wie ich ihn deuten soll. Seine Pupillen sind ganz groß und irgendwie dunkel. Gleichzeitig dieses Stirnrunzeln...

„Deine Augen sind fast schwarz", sage ich, drehe mich ein bisschen zur Seite und rutsche näher an sein Gesicht, um es besser in Augenschein nehmen zu können. Ich tippe ihm leicht an die Stirn. Unsere Nasenspitzen berühren sich fast, als ich seine Augen einer intensiveren Musterung unterziehe. Er bleibt ganz still, offenbar zu überrascht, um zu reagieren.

„Das wird sie morgen bereuen", höre ich Andrea hinter mir murmeln. Wer wird was bereuen?

„Wie beim Teufel", kichere ich.

„Aber du bist nicht der Teufel." Mein Blick wandert zurück zu meinem Becher. Er ist leer. Stimmt ja.

„Du bist ein Prinz", sage ich, obwohl ich mir nicht sicher bin, worum es eben ging. Jemand packt mich am Arm. Zu meinem Missfallen ist es Andrea.

„Ich entführe Stew mal eben."

So laut, dass nur ich es höre, flüstert sie: „Bevor du ihn noch anspringst." Ich und ihn anspringen? Ist er ein Pferd?

„Den Prinzen soll ich anspringen?", frage ich. Ein Blick zurück auf Khan. Ist das ein Lächeln? Und eine hochgezogene Augenbraue. Meine Worte hat er jedenfalls gehört. Andrea lenkt mich von ihm weg.

„Gefallen dir seine Arme auch?", nuschele ich. Sie antwortet nicht, lenkt mich in einen Flur, der weniger überfüllt ist und öffnet eine Tür. Ein Badezimmer. Dort füllt sie meinen Pappbecher mit Wasser.

„Austrinken." Ich will protestieren, habe keinen Durst, doch sie duldet keine Widerrede.

„Wir besorgen dir auch was zu essen." Das reißt mich aus meiner Beneblung.

„Nein, nichts zu essen." Tränen steigen mir in die Augen.

„Du kannst mich nicht dazu zwingen", werfe ich hinterher. Um meine Worte zu unterstreichen, schüttle ich heftig mit dem Kopf. So lange bis mir schlecht wird. Vielleicht eine sehr dumme Idee.

Andrea öffnet vorsichtshalber den Klodeckel.

„Ich muss nicht kotzen. Man, ich hatte nur zwei Bier." Vielleicht waren es drei. Oder mehr. Mein Kopf sagt mir, dass das nicht reicht. Ich hatte vor, mich zu betrinken. Ich wollte vergessen. Ich weiß nicht mehr ganz was es war, das ich vergessen wollte. Aber es war wichtig.

„Wenn du was isst, bekommst du noch was." Andrea nimmt mir den erneut leeren Becher aus der Hand und füllt ihn wieder mit Wasser.

„Nein", sage ich, meine Stimme fester als ich es erwartet hätte. Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare.

„Ich will nur trinken." Sie sieht mich mit demselben Blick an, den ich auch eben an Khan nicht entziffern konnte. Ich schließe die Augen, weil ich sie nicht ansehen will.

„Warum lässt du mich nicht trinken?"

„Weil du es morgen bereuen wirst." Mag sein.

„Du bist nicht meine Mutter", sage ich. Oder mein Bruder. Oder mein Vater. Sie ist bloß eine Freundin. Sie hat kein Recht, Entscheidungen über mich hinweg zu treffen.

„Nein, aber ich sehe, wenn es Menschen nicht gut geht." Obwohl mir bei diesen Worten die Tränen in die Augen steigen, stehe ich auf. Hups, ein bisschen dizzy fühle ich mich ja schon.

„Mir geht es prima. Danke für deine Hilfe, aber ab jetzt kann ich selbst auf mich aufpassen." Sie atmet tief durch.

„Du wirst das morgen bereuen", wiederholt sie. Ich schnaube.

„Wenn alles glatt läuft, werde ich mich nicht mal mehr an dieses Gespräch hier erinnern." Und damit laufe ich aus dem Raum. Aus dem Augenwinkel sehe ich sie bloß mit dem Kopf schütteln. Aber ich habe nun mal recht. Ich bin älter als sie. Das ist meine Entscheidung. Warum wollen die Menschen mich nur immer bevormunden?

Im Gehen bleibe ich hängen und reiße doch tatsächlich ein weiteres Stück meines Rockes weg. Vielleicht kann man mir jetzt unter den Rock schauen. Ich verdrehe lediglich die Augen, zu genervt, um mir auch noch darüber Gedanken zu machen und betrete dann die Küche, um mir einen neuen Becher zu nehmen. Den anderen habe ich bei Andrea auf dem Klo liegen lassen. Als ich die Küche betrete, bleibe ich abrupt stehen.

Da steht Darren. Und an ihn presst sich ein blondes Mädchen. Wenigstens nicht Anne, stelle ich fest und bin selbst stolz darauf, diesen klaren Gedanken fassen zu können. Darren vertreibt sich die Zeit also genau damit – mit Treiben. Mit hocherhobenem Kopf drücke ich mich an den beiden vorbei, die wild knutschend beinahe aus dem Fenster hängen, und schenke mir einen frischen Becher ein.

„Stew?", er bemerkt mich zuerst. Sie folgt, sieht mich aus verwirrten Augen an. Auch sie muss bereits voll sein, irgendwoher kenne ich sie – nicht wichtig genug, als dass ich länger darüber nachdenke. Ihr Lippenstift ist verschmiert und ich glaube ihr Kostüm soll Catwoman darstellen.

„Darren", ich winke zur Begrüßung bloß mit meinem Becher, sehe ihn nie direkt an. Dabei schwappt etwas Flüssigkeit heraus. Ich versuche den Arm ruhig zu halten, aber er zittert. Mein ganzer Körper zittert.

„Alles okay, Stew?" Er löst sich von seiner blonden Freundin. Ich hebe beide Augenbrauen, bin nicht mal schockiert, als sie achselzuckend davon eilt.

„Absolut", sage ich, schlucke heftig, hinter meinen Augen prickelt es verräterisch. Mein Magen verkrampft. Schnell nehme ich mehrere große Schlucke aus meinem Becher. Es fühlt sich besser an. Alles fühlt sich besser an. Endlich ertrage ich es, Darren richtig anzusehen.

Er sieht gut aus. Richtig gut. Trägt eine Handwerkerhose, Hosenträger und ein verschmiertes Unterhemd. Seine Haut ist bleich, an seinen Eckzähnen hängen spitzere Vampir-Imitate. Wie ich das auf die Schnelle herausfinde? Ich starre ihn an. Und wie ich starre. Es tut mir nicht mal leid. Morgen werde ich mich nicht mehr daran erinnern.

„Vielleicht hattest du genug", sagt er, als ich mir meinen Becher zum nächsten Mal fülle.

„Nö, ich glaube nicht", entgegne ich. Ich hatte genug, wenn ich beschließe, dass ich genug hatte.

„Ich mag vielleicht nicht mehr dein Freund sein, aber das bedeutet nicht, dass mir dein Wohlergehen nicht mehr wichtig ist." Ich huste, spucke aus, was ich soeben schlucken wollte. Es trifft ihn auf dem dreckigen Hemd.

„In einer Sache hast du recht. Du bist nicht mehr mein Freund." Dass mein Wohlergehen ihm vermutlich noch nie wirklich wichtig war, muss ich nicht hinzufügen. Ich sehe die Schuldgefühle schließlich genau in seinen Augen. Stattdessen wandere ich aus dem Raum, darauf bedacht, geradeaus zu laufen und nicht wieder hängen zu bleiben(mein Kleid ist jetzt wirklich kurz genug). Sobald ich draußen bin, stoße ich gegen eine Wand. Autsch. Mir wird kurz schwarz vor Augen und ich brauche ein paar Sekunden, um mich aufzurichten und weiterzugehen.

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