Drei
Im nächsten Kurs lasse ich mich neben meine beste Freundin Mariah fallen, die mich neugierig mustert. Der dunkelbraune Pony fällt ihr in die Stirn und verdeckt die riesige schwarze Brille, die sie eigentlich nur aus Modezwecken trägt. Sie rückt die bunten Armbänder an ihren Handgelenken zurecht, ehe sie mich weiter anstarrt.
„Entweder du hast so rote Wangen, weil ihr eben gevögelt habt oder weil du... Nein, keine Ahnung." Sie kichert leise und ich starre sie an.
„Bin ich so rot?" Wieder durchlebe ich, wie er mich auffing. Zimt.
„Und es wird immer schlimmer." Mariahs schelmischer Blick weicht einem ernsteren.
„Ich hab doch nicht etwa voll ins Schwarze getroffen, oder?" Ich schlage ihr spielerisch auf den Arm. Sie weiß genau, dass Darren und ich nicht so ein Paar sind, das seine Liebe öffentlich kund tut.
„Nein, ich hatte nur gerade eben eine sehr... interessante Begegnung", gestehe ich und erzähle ihr detailreich von Saphir-Junge.
„Du hast Khan also auch schon kennengelernt", sagt sie, während der Lehrer vorne seinen Namen an die Tafel schreibt. Saphir-Junge-oder-Mann heißt also Khan. Klingt irgendwie außergewöhnlich. Mariah berichtet von ihrer ersten Stunde, in der sie anscheinend einen ungünstigen Sitzplatz direkt neben der größten Klatschtante des zwölften Jahrgangs erhalten hatte. Tally. Die wusste natürlich sofort, dass es einen neuen Schüler im Abschlussjahrgang gibt und wie er heißt.
Dann schweift Mariah ab, schwafelt von Tallys Liebe auf den ersten Blick.
Bevor sie weiter reden kann, werden wir von Mr. Bonnefelder ermahnt, leise zu sein oder seinen Unterricht zu verlassen und auch wenn ich am liebsten letzteres machen würde, bleibe ich auf meinem Platz sitzen und sehe Mariah unauffällig von der Seite an. Denkt sie, was ich denke? Dass ich besser hätte aufpassen und ihm nicht in die Arme hätte fallen sollen?
In der Mittagspause gesellen sich zwei weitere Mädchen zu Mariah und mir, Anne und Rina. Die beiden freundeten sich damals, als ich ganz neu hier war, noch vor Mariah mit mir an und mittlerweile sind wir sowas wie eine kleine Clique. Ich habe sie gern, und auch wenn die meisten Anne nicht ausstehen können, weil sie sich gerne auf drei Typen gleichzeitig konzentriert, mag ich ihren Charakter.
An der Essensausgabe steht dann plötzlich Khan hinter mir und als er mich anspricht, scheinen sowohl Mariah als auch Rina vor mir in Ohnmacht zu fallen. Die beiden sind die schüchternen in unserer Truppe und erinnern mich oft an mich selbst, bevor ich hierher kam.
„Blondie. Schön dich wieder zu sehen." Ungeniert greift er an mir vorbei nach einem Apfel und legt ihn neben sein Sandwich auf sein Tablett. Ich sehe ihn mit einem neutralen Gesichtsausdruck an, Meisterin darin, meine Gedanken und Gefühle für mich zu behalten.
„Tatsächlich", sage ich nur, ehe ich mich abwende. Wenn er jetzt denkt, bloß weil er mich vor einem Sturz bewahrt hat, könnte er mit mir flirten, dann hat er sich geschnitten. Ich bin in absolut festen Händen. Also fische ich schweigend nach zwei Birnen, kaufe einen Salat und folge Mariah und Rina dann zu unserem Tisch, der genauso leer ist wie ich es erwartet habe. Auch über die Ferien hat sich nichts verändert. Dieser Tisch ist unser Stammtisch. Wenn man den anderen Glauben schenken kann, dann gehörte er schon ihnen, bevor ich Teil der Clique war. Sobald ich sitze, legen sich warme Hände auf meine Schultern und ich spüre sofort, dass sie zu Darren gehören.
„Hi", ich hebe den Kopf und sehe ihn verkehrt herum lächeln. Er beugt sich zu mir hinab und gibt mir einen intensiven Kuss auf den Mund. In fester als festen Händen. Fast schon möchte ich die Cafeteria nach Khan absuchen, um ihm zu zeigen, dass er sich lieber von mir fernzuhalten hat.
„Muss das sein?", grummelt Anne, beißt in ihren Burger und sieht uns zwei aus angeekelten Augen an.
„Genau Darren, sucht euch ein Zimmer", sagt Ashton, der hinter meinem Freund auftaucht. Keine Spur von Andrea. Darren und er kabbeln sich kurz, dann setzen sie sich zu uns. Während Anne Ashton mit Blicken auszieht, widme ich mich Darren.
„Wie waren deine Kurse?", frage ich ihn und beiße unauffällig in eine Birne, huste leicht, weil ich das Gefühl habe, von allen Seiten beim Essen beobachtet zu werden und schlucke dann. Das hat sich also auch nicht verändert.
„Langweilig. Aber immerhin hatte ich das hier, auf das ich mich freuen konnte." Er zwickt mich in den Oberschenkel und ich verschlucke mich an meiner Birne. Mir wird wohlig warm.
„Hat einer von euch zufällig eine Idee, wie ich mir in nächster Zeit etwas dazu verdienen kann?" Ich spiele seit Anfang der Ferien mit der Idee zu jobben. Immerhin will ich in einem Jahr aufs College gehen, ein Stipendium wird man mir nicht geben, weil ich weder athletisch begabt noch sonstig talentiert bin, also muss ich wohl oder übel selbst bezahlen. Zuhause fehlt das nötige Geld.
„Ich kann meinen Dad fragen, ob du in seinem Shop ein bisschen aushelfen kannst", schlägt Ashton vor, scheint es allerdings gar nicht richtig zu registrieren. Ich weiß, dass er mit Shop eine Tankstelle meint, bin mir aber nicht sicher, ob sich das für mich lohnt. Ich sehe mich schon in verschmierten Jeans und mit einer hässlichen Kappe am Tresen stehen und von Lkw-Fahrern angegafft werden. Dieser Job macht sich bestimmt auch nicht gut in einer Collegebewerbung. Bin ich deswegen jetzt wählerisch?
„Du wirst schon was finden. Sieh dich doch ansonsten nach Nachhilfe oder einem Babysitter-Job um." Darren drückt erneut meinen Oberschenkel und lächelt mich aufmunternd an.
„Oh ja, Stew, babysitten. Das wäre perfekt für dich." Mariah grinst. Ihre Stimme trieft nur so vor Sarkasmus. Sie weiß, wie mein letzter Nebenjob endete – Babysitten bei meinen Nachbarn. Die beiden können mir heute noch nicht ins Gesicht blicken.
„Warum eigentlich nicht?", sage ich, mehr zu mir selbst als zu ihr. Vielleicht geben die beiden mir ja eine zweite Chance. Oder ich schaue mal beim örtlichen Arbeitsamt vorbei, ob die mir helfen können. Darren weiß nicht, dass ich diesen Job brauche – er denkt, ich wolle mir bloß etwas dazu verdienen. Natürlich war er oft genug bei mir zu hause, um zu wissen, dass meine Familie finanziell lange nicht an seine heran reicht, aber ich habe ihm gesagt, dass er sich um meine College-Gebühren keine Gedanken machen muss. Ich hasse es, wenn er sich sorgt.
Die anderen unterhalten sich noch eine Weile über dies und das, während ich mit meinen Gedanken an einer anderen Stelle bin. Meine Situation erinnert mich ein wenig an den Mann in Not. Auch ich brauche Geld, bloß eben weitaus mehr als zwei Dollar, wie ich mit einem mürrischen Grinsen feststelle. Und auch mir wird man in spätestens sechs Monaten die Verzweiflung vom Gesicht ablesen können.
„Isst du die noch?", will Darren wissen, als er seine zwei Burger verdrückt hat und deutet auf die zweite Birne. Ich schüttle nur den Kopf, lasse ihn gewähren und bringe dann mein leeres Tablett und den Birnenstrunk weg.
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