Kapitel 66

Während ich ihn fragend ansehe, stockt mir der Atem: Die untergehende Sonne lässt sein Haar beinahe purpun leuchten. Dann zaubert jeder vergehende Strahl silberne Punkte in seine Augen. Ich wende den Blick ab - und der fällt zufällig auf seinen Mund. Er beugt sich vor. Ich hebe das Kinn und sehe ihn in die Augen. Wahrscheinlich vertieft der Sonnenuntergang die Hitze auf meinen Wangen zu einem satten Erdbeerrot, aber vielleicht bemerkt er es gar nicht. Er kann sich nicht entscheiden, ob er meine Augen oder meinen Mund betrachten will. Ich kann das Salz auf seiner Haut riechen, kann die Wärme seines Atems spüren. Er ist so nah, dass der Wind eine Strähne meines Haares auf unser beiden Wangen weht. Als er sich von mir löst, fühle ich mich wie geohrfeigt. Er zieht die Hand hoch, die er neben mir im Sand vergraben hat. "Es wird dunkel. Ich sollte dich nach Hause bringen", sagt er. "Wir können das wiederholen - ich meine, wir können wieder üben -, morgen nach der Schule."
Ich streiche mein Haar nach vorne, um meine Enttäuschung vor ihn zu verstecken. "Sicher." So viel zum Thema 'Hicks ausnutzen'.
"Allerdings kannst du morgen nicht in die Schule gehen, kleiner Fisch." Wir geben beiden den Kopf und sehen Fischbein und Heidrun über den Strand auf uns zukommen. Heidrun pflügt durch den Sand und schleppt zwei Arme voll Gerümpel. Das zufriedene Lächeln auf ihren Lippen beweist, dass sie gerne noch mehr tragen würde.
"Warum nicht ?", frage ich.
"Weil er sich mal wieder bei seiner Familie blicken lassen muss. Die beiden haben Groms Herrschaftszeremonie verpasst und alle fragen sich, wo die königlichen Zwillinge eigentlich stecken. Wenigstens ich hatte genug Verstand, eine private Verbindungszeremonie abzuhalten - weil Heidrun verschwunden ist, meine ich."
Hicks runzelt die Stirn. "Er hat recht. Wir müssen für ein paar Tage nach Hause. Unser Vater ist zwar nicht so fürsorglich wie unsere Mutter, aber er sieht uns trotzdem ab und zu ganz gern. Besonders Heidrun. Sie ist verwöhnt."
Heidrun nickt. "Stimmt. Das bin ich. Außerdem muss ich unser Verbindungssiegel annullieren lassen."
"Ah, Prinzessin, ich dachte, wir hätten heute viel Spaß gehabt. Du weißt, dass ich alles tun werde, um dich weiter zu verwöhnen. Warum solltest du unsere Verbindung auflösen ?", fragt Fischbein. Sie erlaubt ihm, ihr etwas von ihrer Beute abzunehmen, aber bei seinem Versuch, sie auf die Wange zu küssen, rümpft sie die Nase.
Hicks ignoriert ihre Ehekrise. Stattdessen sieht er mich an und sagt: "Es wird nicht lange dauern, ich verspreche es. Wenn ich zurück bin, könnten wir Dr. Grobian besuchen. Vielleicht kann er uns helfen."
"In Florida ?" Beim bloßen Gedanken an sonnige, weiße Strände wir mir schlecht. In meinen Träumen sind sie immer rot gefärbt von Raffs Blut.
Hicks nickt. "Er könnte ein paar Untersuchungen durchführen, weißt du. Um zu sehen, ob wir etwas übersehen."
Das Gefühl, versagt zu haben, macht sich in mir breit. "Also denkst du, ich hätte mich bereits verwandeln sollen. Was mache ich falsch ?"
"Du machst nichts falsch", antwortet er. "Das Wasser löst unseren natürlich Instinkt zur Verwandlung aus. Es kostet uns mehr Anstrengung, uns nicht zu verwandeln, als uns einfach der Verwandlung zu überlassen. Vielleicht kann Dr. Grobian uns dabei helfen herauszufinden, wie wir deine Instinkte stärken können."
Ich nicke. "Vielleicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Mom mit einer Reise quer durchs Land zusammen mit meinem heißen neuen Freund nicht einverstanden sein wird. Vor allem nicht wieder nach Florida." Ich klappe den Mund so schnell zu, dass meine Zähne eigentlich abbrechen müssten.
Er grinst. "Du findest mich heiß ?"
"Meine Mom findet dich heiß." Nur dass Mom nicht diejenige ist, die gerade tomatenrot wird. "Hm-hm", sagt er und wirft mir einen Du-bist-aufgeflogen Blick zu. "Heiß hin oder her, ich fürchte, dass sie meinem Charme in diesem Fall nicht erliegen wird. Wir werden einen Profi hinzuziehen müssen." Und dann zwinkerte mir dieser Fischprinz doch tatsächlich zu.
"Du meinst Rapunzel." Ich habe meine Zehen in den Sand. "Ich schätze, einen Versuch ist es wert. Aber erwarte nicht zu viel. Ich habe bereits jede Menge Unterricht versäumt."
"Wir könnten am Wochenende runterfliegen. Und vor Schulbeginn am Montag zurück sein."
Ich nicke. "Darauf lässt sie sich vielleicht ein. Wenn Rapunzel ihre Karten richtig spielt." Klar lässt sie sich darauf ein. Und danach lässt sie sich die Zunge piercen und die Haare kirschrot färben, damit der Iro, den sie sich auch noch schneiden lässt, noch cooler aussieht. Daraus wird nichts. Ich zucke die Achseln. "Ich werde einfach weiter üben, wenn du weg bist. Vielleicht müssen wir gar nicht nach Florida...."
"Nein!" rufen Hicks und Fischbein gleichzeitig und ich zucke zusammen.
"Warum nicht ? Ich werde nicht zu tief hineingehen...."
"Kommt nicht infrage", sagt Hicks und steht auf. "Du wirst nicht ins Wasser gehen, solange ich fort bin."
Ich stampfe ein Loch in den Sand. "Ich habe dir schon gesagt, dass du mich nicht herumkommandieren kannst, oder ? Jetzt hast du's so ziemlich geschafft, dass ich garantiert ins Wasser gehe. Euer Hoheit."
Hicks fährt sich mit der Hand durchs Haar und zischt eine ganze Reihe von Schimpfwörtern, die ihn zweifellos Punzi beigebracht hat. Für einige Sekunden geht er im Sand auf und ab und kneift sich in den Nasenrücken.
Bis er ganz plötzlich stehen bleibt. Sich entspannt. Und sogar lächelt. Dann geht er zu seinem Freund hinüber und verpasst ihm einen Klaps auf den Rücken. "Fischbein, du musst mir einen Gefallen tun."

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Wie findet ihr es bis jetzt ?🤔

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top