50. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
*Kathlyn*
Bestürzt ließ ich mich aufs Bett sinken. Mein einziger Beweis war weg! Hatte der Spitzel geahnt, dass ich Jace alles erzählen wollte? Würde er Claus von seinem Verdacht erzählen? Wie würde er reagieren?
„Beruhige dich." Jace hockte sich vor mich, griff meine zitternden Hände und suchte meinen Blick. „Deinen Eltern wird nichts passieren, genau wie Ilargia! Zum einen haben Beth und Martin ein Auge auf sie. Zum anderen hat Caleb die Grenzen verstärken und die Posten verdoppeln lassen – so wie wir. Momentan kann niemand mit Claus kommunizieren, ohne dass wir es merken. Und dieses Risiko wird der Verräter nicht eingehen. Schon gar nicht, solange ich hier bin."
„Glaubst du?"
„Dir wurde jedes Mal etwas zugesteckt, wenn ich nicht in der Wolfshöhle war. Derjenige ist also sehr vorsichtig."
„Diejenige. Es ist Cindy.", murmelte ich. Ich hatte bereits so oft darüber nachgedacht. Vor dem Vorfall mit Claus hatte sie die zweite Nachtschicht. Sie hatte genau gewusst, wann Jace da war. Für sie war es also ganz leicht die Karte in der Bibliothek zu verstecken, ohne gesehen zu werden. Und sie hatte ihren Posten nur allzu bereitwillig verlassen, damit ich abhauen konnte.
Doch damit nicht genug. Just nach unserem Disput im Speisesaal fand ich den Zettel unter der Tür. Sie wusste, dass Jace in der Stadt war. Sie hatte gehört, wie ich Josi danach fragte. Und sie hatte genug Gelegenheiten gehabt, mir den Zettel wieder abzunehmen: Sie hatte mich wenig später in die Bibliothek gezerrt. Sie hatte mich heute vor Josis Zimmer abgepasst und auch in der Küche hatte sie mehrere Gelegenheiten gehabt. Sie musste das Gespräch zwischen mir und Brian belauscht und ihre Schlüsse daraus gezogen haben. Es passte alles zusammen. So viele Zufälle konnte es schlichtweg nicht geben!
Jace schwieg einen Moment lang und betrachtete mich. „Ist das nur eine Vermutung, oder hast du einen Beweis?"
„Sie hat mir schon mehrfach gedroht und sie hat schon mehrfach betont, dass ich von hier verschwinden soll. Zuletzt erst heute Mittag."
„Ich weiß, dass ihr euch nicht leiden könnt." Er sah nicht überzeugt aus. „Ihr müsst auch keine Freundinnen werden. Aber es ist etwas anderes, sie des Verrats zu beschuldigen. Deshalb frage ich noch einmal: Hast du einen Beweis?"
„Nein, den hat sie mir ja weggenommen. Sie ist schließlich nicht dumm." Aber Jace war offenbar blind. Verärgert entzog ich ihm meine Hände und er erhob sich, während er mich weiter mit einem nachdenklichen Blick bedachte. Wieso beschützte er sie? Sie hatte vorhin erst versucht einen Keil zwischen uns zu treiben. Es war eindeutig wie durchtrieben sie war und dass sie mir gegenüber keine friedlichen Absichten hatte.
„Mit wem warst du noch zusammen, seit du den Zettel bekommen hast?"
„Keine Ahnung. In der Küche gehen ständig Rudelmitglieder ein und aus, genauso wie im Speisesaal. Aber richtig näher gekommen sind mir hauptsächlich Josi, Caleb, Emmely, Mike, Alec, Brian, Cindy und du.", zählte ich auf. Langsam verlor ich die Geduld, was er mir wohl auch ansah.
„Wenn es wirklich Cindy ist, werden wir es herausfinden. Ich werde sie im Auge behalten." Sein Blick wurde schärfer. „Du wirst dich ihr gegenüber zurückhalten! Keine Provokationen, keine feindseligen Blicke, keine Streitereien. Hast du verstanden?"
„Das sagst du mir?" Empört sprang ich auf. „Sie passt mich doch ständig ab, sobald ich allein bin, und droht mir! Wenn du glaubst, dass ich mir das gefallen lasse ..."
„Sie wird dich nicht mehr allein antreffen. Ich werde mich um jemanden kümmern der bei dir bleibt, sobald du die Alphaetage verlässt."
„Ich bekomme wieder einen Babysitter?" Ich wollte schon protestieren, doch Jace hob gebieterisch die Hand.
„Du bekommst einen Beschützer. Darüber verhandle ich auch nicht. Dir wurde eine Frist gesetzt und wir wissen nicht, was nach Fristende passiert. Vielleicht geht es dann gar nicht um mich, sondern um dich." Soweit hatte ich bisher noch nicht gedacht. Trotzdem passte es mir überhaupt nicht. Mürrisch verschränkte ich die Arme.
„Zumindest weiß ich, wie ich ihn schnell wieder loswerde: Ich brauche ihn nur küssen." Hatte ich das laut gesagt?
„Wenn du jemanden küssen willst, stelle ich mich gern zur Verfügung. Ansonsten werden deine Lippen niemand anderen mehr berühren!", knurrte er entschieden und meine Wangen begannen zu glühen.
„Ich wüsste nicht, dass du das zu entscheiden hast!", gab ich provozierend zurück. Kurz fand zwischen uns ein Blickduell statt, bis ich den Kopf abwandte, weil ich sonst grinsen musste. Seine Eifersucht fühlte sich viel zu gut an.
„Claus hat dir einen Dolch gegeben?", fuhr Jace fort und ignorierte meine bemüht verärgerte Miene. „Befindet er sich auf der Alphaetage?"
„Ja." Genau genommen war er gar nicht weit entfernt.
„Gut. Du wirst ihn hier oben behalten. Und falls es nötig wird, wirst du ihn benutzen."
„Ihn benutzen? Ich bin doch keine Mörderin!"
„Das hat auch niemand behauptet. Doch wenn du dich verteidigen musst, egal mit welchen Mitteln, dann wirst du das tun! Und wenn du den Dolch benutzen musst, dann wirst du das tun!"
„Ich weiß ja nicht einmal, wie man ein Messer ordentlich hält.", zitierte ich ihn abwehrend. „Ich würde mich eher verletzen, als mein Gegenüber."
„Ich erinnere mich." Jace grinste frech, schnappte sich meine Hand und zog mich aus dem Schlafzimmer. „Dann üben wir jetzt."
„Genau. Lass mich nur schnell meinen Wein austrinken, damit ich weniger Hemmungen habe dich abzustechen.", spottete ich, doch er zog mich schon weiter in den Wohnbereich hinein und drückte mir einen Kuli in die Hand.
„Versuch mich anzumalen."
„Sind wir im Kindergarten?"
„Wir können auch ein richtiges Messer nehmen. Dann sehen wir, wo es blutet."
„Auf dem schwarzen Hemd sieht man sowieso nichts."
„Du hast recht." Er öffnete die zwei obersten Knöpfe und zog es sich über den Kopf. Nun stand er in einem weißen Muskelshirt vor mir. Der Schein des Feuers tanzte auf seinen Oberarmen und auf seiner durchtrainierten Brust, als wollten die Flammen darüberstreichen. Der Anblick ließ meinen Mund trocken werden. Wieso sah er eigentlich so unverschämt sexy aus? Und wieso zog er nicht noch mehr aus? Ich sollte doch sicher nicht sein Shirt anmalen, oder?
„Bereit?", holte mich seine Stimme aus meinen unkeuschen Gedanken und er grinste erneut, diesmal ziemlich siegessicher. Ich versuchte mir meine Wut von heute Nachmittag ins Gedächtnis zu rufen. Oder von vorhin, als er dieses Miststück Cindy verteidigte. Das Grinsen würde ihm gleich vergehen!
Zielstrebig ging ich auf ihn los und beachtete dabei, was er damals zu Eric gesagt hatte: Gezielte Schläge, Kräfte aufteilen, niemals ganz verausgaben, den Gegner nicht unterschätzen. Ich zielte auf seinen Oberkörper, doch ich kam nie nah genug an Jace heran, als dass ich ihn hätte treffen können. Entweder wich er mir spielend leicht aus, oder er blockte meine Hiebe einfach ab und dirigierte mich dabei auch noch durch den ganzen Raum. Es wurde ein wahres Katz-und-Maus-Spiel, bei dem ich sogar über die Couch sprang, um ihn zu erwischen.
Am Anfang war es noch lustig. Mit der Zeit tat mir der Arm weh, ich kam mir lächerlich vor und ich hatte keine Lust mehr. Wie oft ich ihn angemalt hatte? Nicht einmal.
„Das ist doch Mist!", fluchte ich frustriert. Inzwischen war ich kurz davor, ihm den verdammten Stift einfach an den Kopf zu werfen.
„Ich kann dich nicht korrigieren, wenn ich nicht weiß welche Fehler du machst. Deshalb trainiert das Rudel. Deshalb gibt es Übungskämpfe. Das hier ist nichts anderes."
„Das hat nichts mit ‚Fehler machen' zu tun! Ich bin ein Mensch und du ein Werwolf. Das ist von vornherein nicht fair." Ich ließ meine Hand sinken und drehte ihm den Rücken zu. Sollte er doch allein weiter um die Couch rennen.
„Denkst du, darauf wird irgendeiner von Claus' Leuten Rücksicht nehmen?" Plötzlich stand er hinter mir, umschlang meine Taille und zog mich mit einem Ruck an seine harte Brust. Seine andere Hand ergriff die meine und führte den Kuli an meine Kehle, bevor ich es so recht begriff. Dort verharrte die Miene drohend, wenige Millimeter von meiner Haut entfernt.
„Der kleinste Fehler kann dich dein Leben kosten. Beispielsweise dreht man seinem Feind niemals den Rücken zu. Ich könnte den Dolch jetzt problemlos gegen dich einsetzen, ohne das Silber zu berühren. ", raunte er an meinem Ohr. Sämtlicher Ärger war verflogen. Auf meinem Körper breitete sich eine Gänsehaut aus und mein Herz schlug um einiges schneller, was nicht nur am Adrenalin lag. Irgendwie fand ich diese Situation wahnsinnig heiß.
„Wie gut, dass das nur ein Stift ist.", flüsterte ich zurück, um mich selbst zu beruhigen und meine Fantasie zu zügeln. Ich spürte bereits, wie meine Wangen wieder zu glühen begannen.
„Die erste Regel lautet: Ruf um Hilfe und halte deinen Gegner auf Abstand, sollte er dir überlegen sein." Sein Atem strich über meine Ohrmuschel und meinen Hals hinab. Das machte mich halb wahnsinnig. Tat er das mit Absicht?
„Zweitens ..." Er öffnete meine Hand und drehte den Stift herum, sodass die Miene in meiner Faust nach unten zeigte. „Niemals von unten nach oben. Das kostet dich unnötig Kraft und Zeit. Du bist auch nicht so flexibel."
Seine Hand legte sich erneut um meine und er führte sie ein paar Mal von oben nach unten. Dann wich er nach rechts oder links aus, indem er einfach mein Handgelenk drehte. Mir fiel auf, dass meine Hand fast vollständig in seiner verschwand. Und dass sich sein Körper an meinen schmiegte und ihn führte, als wären wir eine Person.
„Siehst du? So hält man ein Messer. Das ist viel effektiver und der Schaden, den man anrichten kann, ist größer. Du darfst nicht zögern."
Ich versuchte mich auf seine Worte und nicht auf seine Nähe, oder seinen Atem zu konzentrieren. Das war verdammt schwer, denn ich spürte jede Bewegung hinter mir so deutlich, als würde mein Körper danach dürsten wie Erde nach Wasser an einem heißen Sommertag.
Mein Ohr fühlte sich unnatürlich heiß an, als lägen seine Lippen darauf und flüsterten unanständige Dinge hinein. Seine Körperwärme brachte meine Haut zum Glühen. Sein Duft lullte mich ein, versprach mir Geborgenheit und Sicherheit. Seine festen Muskeln an meinem Rücken, seine starken Arme um meinen Körper weckten verborgene Fantasien und geheime Wünsche. Verdammt! Mein ganzer Körper kribbelte inzwischen, als wäre er eine Bombe kurz vor der Explosion.
„Drittens: Du folgst deinem Gegner nicht. Bleib dort wo du alles im Griff hast, wo du ihn im Blick hast und wo du ihn auf Abstand halten kannst."
Ich hatte gerade gar nichts mehr im Griff. Der vernünftige Teil in mir wollte ganz rational fragen, woher Jace dieses Wissen hatte. Er wollte auf Abstand gehen. Der vorherrschend hormongesteuerte Teil wollte etwas ganz anderes.
„Viertens ..." Ich quiekte auf, als Jace mich ohne Vorwarnung nach hinten zog. Leichtfüßig führte er mich mit sich im Kreis herum, als würden wir tanzen. Gleichzeitig schwang er mein Handgelenk, von oben nach unten, nach links und rechts, und presste mich näher an sich.
„Du drehst deinem Gegner niemals den Rücken zu. Niemals! Dreh dich mit ihm. Lass ihn nicht aus den Augen." Seine Stimme war leiser und rauer geworden. Er blieb stehen. Ich spürte wie er sich näher zu mir beugte und meine Haare beiseiteschob, wie er mich enger an sich zog, und wagte es kaum mehr zu atmen. In meinen Ohren rauschte es.
„Und Regel Nummer fünf.", hauchte er nun direkt in mein Ohr. Mir wurde gleichzeitig heiß und kalt, meine Knie wurden Wackelpudding, mein Bauch schlug Purzelbäume. Es war kaum noch auszuhalten.
„Nutze deine erste Gelegenheit zur Flucht. Vielleicht ist sie deine Letzte."
Ein Schauer rann mir über den Körper. Ich verstand die Warnung hinter seinen Worten nur zu gut, doch ich ignorierte sie. Ich ignorierte seinen Griff, der sich deutlich gelockert hatte. Ich ignorierte sämtliche Alarmsignale meiner Vernunft. Ich ignorierte sämtliche Vorsätze, die ich ihm gegenüber beschlossen hatte.
Ich war nicht mehr in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Stattdessen drehte ich mich zur Seite und sah ihn an.
Seine Augen hatten sich komplett verdunkelt, nahmen mich gefangen und blickten bis in mein tiefstes Innerstes. Nichts schien vor ihm verborgen zu sein. Und als sein Blick zu meinen Lippen wanderte, streckte sich mein Kopf wie von selbst seinem entgegen. Mein Hals machte sich so lang er konnte. Meine Augen schlossen sich. Meine Lippen teilten sich erwartungsvoll. Das Kribbeln meines Körpers schwoll an und wartete ungeduldig auf die Erlösung.
Ich spürte seinen Daumen sanft über meine Lippen streichen, wie sein Zeigefinger über mein Kinn glitt, und hörte ihn tief ausatmen. Seine Finger fuhren weiter meinen Hals hinab, zärtlich und vorsichtig, und hielten dort inne.
„Ich möchte, dass du mir etwas versprichst." Plötzlich klang er unglaublich ernst. Irritiert öffnete ich die Augen und begegnete seinem Blick abermals. Diesmal löste er allerdings Angst in mir aus, denn er war kühl und wütend, und ich brachte unwillkürlich wieder Abstand zwischen uns.
„Versprich mir, dass du den Dolch benutzen wirst, wenn nötig. Egal gegen wen Kathlyn!" Sein Blick wanderte erneut zu meinem Hals. „Selbst gegen mich."
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Ich LIEBE dieses Kapitel! 🥰
Ich werde in letzter Zeit oft von Redakteuren von "Dreame" angeschrieben. Sagt euch das was? 🤔 Bisher habe ich die Nachrichten ignoriert. Ich kann es nicht leiden wenn man beteuert, wie toll meine Geschichte ist, sie offensichtlich aber gar nicht gelesen hat (oder kein Deutsch kann). Nicht sehr Vertrauenserweckend....
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