18. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
Aus den geheimen Forschungsunterlagen von Ilargia
*Kathlyn*
Heute war ich bereits seit sechs Tagen hier. Jeden Morgen, gleich nach dem Frühstück, unternahmen Jace und ich einen Spaziergang und unterhielten uns. Meist liefen wir am See entlang, wobei uns immer andere Rudelmitglieder begleiteten – mit angemessenem Abstand.
Zuerst dachte ich, sie täten es meinetwegen. Vielleicht hatte ihnen Jace von unserem kleinen, ähm, ‚scharfen' Disput erzählt. Oder er hatte Angst vor einem weiteren Fluchtversuch. Aber drei Werwölfe (mit ungeahnten Kräften), gegen ein normales, menschliches Mädchen? Das fand ich schon ein bisschen lächerlich.
Jace erklärte mir schließlich, dass sie uns wegen der Späher folgten. Späher waren, so Jace, Mitglieder anderer Rudel, die ohne Erlaubnis die Grenze übertraten und die Lage des dortigen Rudels ausspionierten. In den meisten Fällen bedeutete das, dass sie etwas planten – was wiederrum bedeutete, dass das ganze Rudel vorsichtig und täglich in Alarmbereitschaft war.
Josi und Emmely hatten mir versichert, dass die meisten Rudel friedlich miteinander auskamen. Aber natürlich gab es Ausnahmen: Es gab Alphas, die andere Rudel übernahmen und sie sich einverleibten, um ihr Rudel zu stärken, oder um ihr Territorium zu erweitern. Gerade wenn sich ein Rudel umgestaltete – beispielsweise durch einen Alphawechsel –, war es besonders angreifbar und andere Rudel nutzten das aus, fanden sie eine Schwachstelle.
Jace war erst seit ca. einem halben Jahr Alpha, was für solche Rudel natürlich wie eine Einladung wirken musste. Soweit ich es bisher mitbekommen hatte, stand das Rudel jedoch geschlossen hinter ihm. Niemand war ihm gegenüber feindselig, oder nachtragend, oder zweifelte seine Stellung an. Im Gegenteil, sie gingen sehr freundschaftlich mit ihm um. Dennoch zollten sie ihm Achtung und Respekt, und taten widerspruchslos was er sagte. (Also ganz im Gegensatz zu den Gerüchten, die in Ilargia umgingen.)
Hätte ich eine Schwachstelle entdeckt, wäre ich mit Sicherheit schon über alle Berge. Doch leider ließen mich Jace und seine Leute nicht aus den Augen, wenngleich ich schon ein paar mehr Freiheiten besaß. Ich durfte mich zum Beispiel in der Festung frei bewegen, nur raus durfte ich nicht ohne ‚Aufsicht'. Und weiter als bis zur Feuerstelle durfte ich auch dann nicht.
Bisher hielt ich mich daran. Zum einen fühlte ich mich nicht unmittelbar bedroht, zum anderen würde ich sowieso nicht weit kommen. Seit dem Späher-Vorfall streiften ständig Patrouillen durch den Wald. Ich musste warten, bis die Aufmerksamkeit aller nachließ. Und so lange wahrte ich den Schein.
Wobei das nicht so leicht war, denn trotz unseres täglichen Spazierganges kam ich bei Jace nicht weiter. Meist stellte er mir Fragen über mich, meine Zukunftspläne, meine Ziele und Wünsche, meine Vergangenheit und natürlich auch über Ilargia. Er selbst blieb verschlossen und erzählte sehr wenig von sich. Das war frustrierend. Irgendwie hatte er das Prinzip vom gegenseitigen Kennenlernen nicht ganz verstanden.
„Hab Geduld. Es ist für ihn auch nicht einfach.", versuchte Josi zu vermitteln, weil ich mich gerade darüber beschwert hatte. „Jace hat einiges durchgemacht. Früher oder später wird er dir davon erzählen."
Ich runzelte demonstrativ die Stirn und beobachtete, wie sie Lichterketten an einem Baum befestigte. Wir waren an der Feuerstelle. Jace war in Ilargia. Die Lage dort hatte sich wohl ein wenig beruhigt, in den letzten Tagen.
„Immerhin hat er dich gefragt, ob du ihn zum Mondfest begleiten möchtest. Das ist doch schon mal etwas.", versuchte auch Emmely, die neben mir saß, dem Ganzen etwas positives abzugewinnen. Sie streichelte liebevoll ihren kugelrunden Bauch und streckte die Beine aus.
Heute war Vollmond. In Ilargia würde Ausgangssperre herrschen und nun wusste ich das erste Mal in meinem Leben auch wieso: Damit die Werwölfe feiern konnten. Ihr Mondfest, zu Ehren der Mondgöttin, der ‚Erschafferin der Werwölfe'. Dementsprechend liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Jace hatte mich eingeladen und ich hatte zugesagt. Aber nur, weil ich neugierig auf das Fest war!
„Das Mondfest ist eine gute Gelegenheit, jemandem näher zu kommen. Ich habe mich damals bei einem Mondfest in Mike verliebt.", schwärmte Emmely. „Es war so romantisch. Wir haben unter den Sternen getanzt, als gäbe es nur uns zwei."
„Ich kann nicht tanzen.", blockte ich gleich ab. Außerdem wollte ich Jace gar nicht ‚näher kommen'. Zumindest nicht körperlich. Mir reichte es vollkommen, dass wir in einem Bett schliefen. Dabei war es eine ungeheure Hilfe, dass er immer erst ins Bett kam, wenn ich bereits eingeschlafen war. Wie das heute Abend werden würde, wusste ich allerdings nicht und es bereitete mir ein wenig Unbehagen.
„Jace kann sehr gut tanzen. Vielleicht zeigt er es dir."
„Ich gehe rein." Augenleiernd erhob ich mich und ging zurück zur Festung. Mir war es so egal, ob Jace tanzen konnte oder nicht. Das war nur eins der wenigen anderen, zumeist nutzlosen Dinge, die ich nun über ihn wusste.
Ich wusste, dass er ursprünglich aus einem anderen Rudel kam, in dem er Beta war. Aus mir noch unbekannten Gründen verließ er das Rudel und wollte sich dem Rudel Iluna anschließen. Normalerweise war das wohl ohne Probleme möglich, wenn der Alpha und die anderen Rudelmitglieder einverstanden waren. Doch der Alpha war (warum auch immer) nicht einverstanden.
Jace hatte die Wahl gehabt weiterzuziehen und sich einem anderen Rudel anzuschließen, oder zu kämpfen. Er entschied sich für den Kampf, besiegte den früheren Alpha und übernahm damit automatisch die Führung des Rudels.
Im Gegensatz zum früheren Alpha legte Jace keinen Wert darauf, dass die Menschen wussten, wer er war. So war ich wohl die Einzige aus Ilargia, die seine Identität kannte. Die Einzige, die je als Mensch in der Festung war. Die wusste, wo die Festung ungefähr lag, wie viele Rudelmitglieder ‚Iluna' tatsächlich hatte, wie es im Rudel ablief, welche Aufgaben es gab, ... Informationen, über die sich der Rat sicher freuen würde, sollte ich je nach Hause zurückkehren. Sollte es je zu einem Krieg mit Ilargia kommen.
„Mach es doch allein Brian! Ganz ehrlich, ich bin keine Köchin! Und ich habe auch keine Lust mehr!" Cindy stürmte in der Eingangshalle an mir vorbei. Perplex warf ich einen Blick in den Speisesaal, in dem Brian wie ein Häufchen Elend stand.
„Alles okay?"
„Ja." Er strich sich seufzend das dunkelbraune Haar aus den Augen. „Cindy ist sowieso keine Hilfe. Was soll ich mit jemanden, der nur umrühren will?"
„Sie will nur umrühren?"
„An den Ofen geht sie nicht, da könnte sie sich verbrennen. Zwiebeln schneidet sie nicht, da könnten ja ihre Augen tränen und ihre Schminke verlaufen. Auch alles andere schneidet sie nicht, da könnte sie ja ihren Finger treffen. An den Herd geht sie nicht, da könnte es ja spritzen. Abschmecken tut sie nicht, da könnte sie sich schließlich die Zunge verbrennen. Und den Tisch deckt sie nicht, weil ihr das Geschirr zu schwer und das Essen zu heiß ist."
„Klingt nach einer guten Küchenhilfe." Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Ja, rumstehen und hübsch aussehen kann sie gut.", gab Brian zu und schlug sich sofort erschrocken eine Hand vor den Mund. „Ich meine ... Also ..." Panisch blickten mich seine braunen Augen an und ich hob beschwichtigend eine Hand.
„Schon gut. Es ist nur deine ehrliche Meinung. Ich werde es nicht weitersagen."
„Danke! Ich bin nicht so lange im Rudel wie sie und außerdem bin ich noch lange nicht so stark. Das würde nur Ärger geben."
„Aber Jace hat ihr doch befohlen, dir zu helfen. Müsste sie dann nicht den Ärger bekommen?"
„Sie wird schon wieder eine Ausrede parat haben. Und wie gesagt, es macht mir nichts aus. Ich mache das Festessen so oder so allein."
„Vielleicht kann ich dir helfen." Eigentlich hatte ich vorgehabt in die Bibliothek zu gehen, denn ich hatte das letzte Mal ein interessantes Buch über Vampire gesehen. Aber Brian tat mir leid.
„Das würdest du tun?" Seine Augen blitzten begeistert auf.
„Dann zeig mir mal die Küche.", erwiderte ich grinsend und folgte ihm.
Brian war nett, wir verstanden uns auf Anhieb. Vielleicht lag es auch daran, dass er nur zwei Jahre jünger war als ich. Die Arbeit machte Spaß und erinnerte mich an das Café in Ilargia. Auch zu Hause hatte ich gern in der Küche experimentiert, das kam mir nun zu gute.
Wir waren gerade fleißig dabei, aus Oliven, Ziegenkäse und Möhre ein paar süße, essbare Pinguine zu basteln, da wurde er plötzlich bleich.
„Oh weh.", murmelte er und zog den Kopf ein. Ich sah ihn verständnislos an, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Jace hereinstürmte. Als seine Augen mich entdeckten, legte sich der Sturm darin ein wenig.
„Brian, würdest du uns bitte kurz allein lassen?", wies er den Jungen an, der eilig nickte und an ihm vorbei huschte.
„Kannst du mir mal verraten, was das soll?", zischte er nun mich an.
„Worüber reden wir?", wollte ich verunsichert wissen und überlegte, was ich angestellt hatte.
„Josi hat dich reingehen sehen, und dann bist du spurlos verschwunden. Ich habe die ganze Wolfshöhle auf den Kopf stellen lassen, weil niemand wusste, wo du bist! Alec macht draußen Männer fertig, die den Wald nach dir absuchen sollten."
„Das ist doch nicht meine Schuld! Ich habe mich an die Regeln gehalten! Dann habt ihr wohl nicht besonders gründlich gesucht!"
„Was tust du hier überhaupt?", keifte er immer noch wütend und brachte mich nun endgültig auf die Palme.
„Wir haben das hier gemacht." Ich schnappte mir einen Pinguin und brachte ihm fliegen bei – genau auf Jace, ehe er ihm ausweichen konnte.
„Und das." Auch das nächste Fingerfood musste daran glauben. Jace ging in Deckung, während ich alles nach ihm warf, was ich in die Finger bekam. Schade um das Essen, aber ich wusste nicht wohin mit meiner Wut.
Gerade griff ich nach einer Karotte, da hielt er meine Hand fest. Er war sichtlich verblüfft über meine Reaktion. Auf seinem dunkelblauen Langarmshirt waren lauter Essenstupfer und duschen musste er auch, aber ich hatte kein schlechtes Gewissen.
Sein Blick glitt von meinen, ihn wütend anfunkelnden, Augen, über meine erhitzten Wangen hin zum Küchentresen, wo mehrere Platten mit angerichtetem Essen standen. Ja, ich hätte ihn noch ewig weiter bewerfen können. Danach auch gern mit Töpfen und Pfannen.
„Das sieht lecker aus." Jace schnappte sich einen übriggebliebenen Pinguin, betrachtete ihn eindringlich und warf ihn sich in den Mund. Das sollte wohl ein Friedensangebot sein. Schnaubend wandte ich mich ab und betrachtete das Chaos, dass ich angerichtet hatte. Wenn Brian das sah, wollte er sicher Cindy zurück.
„Du hast dich also mit Brian angefreundet?"
„Ja. Er ist nämlich wesentlich netter als du!" Ich wollte mich an ihm vorbeiquetschen und anfangen aufzuräumen, doch Jace hielt mich fest und drängte mich gegen die Küchenzeile.
„Vielleicht liegt das daran, dass er sich nicht ständig den Kopf darüber zerbrechen muss, ob du noch da bist, sobald er zurückkommt?"
„Nur zu deiner Information: Wenn ich hätte verschwinden wollen, dann hätte ich das längst getan! Und ihr hättet mich auch nicht aufhalten können!" ‚Lüge!', schrillte mein Unterbewusstsein, während ich versuchte mich von seiner Nähe nicht nervös machen zu lassen. Das vergnügte Funkeln in seinen Augen war wieder da und auch sein Lächeln wurde breiter. Das erschwerte es ungemein, wütend auf ihn zu bleiben.
„Du könntest dich nicht einmal in der Wolfshöhle verstecken, ohne, dass ich dich innerhalb von 10 Minuten finden würde!"
„So wie eben?" Ich hob amüsiert eine Augenbraue und Jace beugte sich zu mir, sodass sein Gesicht über mir schwebte. Plötzlich war die Atmosphäre zwischen uns richtiggehend aufgeladen.
„Willst du es versuchen?" Sein Blick ließ mich erschaudern, dennoch reckte ich trotzig das Kinn. Nachgeben war keine Option.
„Was bekommt der Gewinner?"
Bei meiner Frage huschte ein Grinsen über seine Lippen.
„Schaffst du es, darfst du deine Eltern sehen. Doch sollte ich dich finden, ..."
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Was glaubt ihr, was Jace verlangt?
Und wird Kathe darauf eingehen?
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