Kapitel 85
Y/n:
Die Stille brachte mich regelrecht um.
Das einzige, was zu hören war, waren die leisen Hintergrundgeräusche aus der Aula und die Autos, die auf der Straße an uns vorbeirasten.
Shotos Atem klang abgehackt und ich traute mich nicht ihm in die Augen zu blicken. War er traurig, enttäuscht oder überrascht? Vielleicht sogar glücklich?? Nein, ich konnte einfach nicht.
Während ich meinen Blick stur auf den Boden richtete, spührte ich genau, wie er mich musterte.
Hör auf damit. Schau mich nicht an, es muss so sein.
Doch statt etwas zu sagen, nahm ich das dumpfe Geräusch vom zermatschten Schnee war, bevor ich aufsah und nach Luft schnappte.
Shoto drehte sich ohne jegliche Reaktion um und ging einfach.
Und das war's.
Das hier meine lieben Leute war meine erste und letzte Beziehung.
Diese Person war der erste Mensch seit langer Zeit, den ich geliebt habe. Und er ist einfach gegangen.
Es ist aus. Für immer.
Innerlich hörte ich das zersplittern von Glas. Am Anfang war es leise, aber dann wurde es immer lauter.
Zuerst war es eine Scherbe, die rausflog. Danach fielen sie wie Regen herab, schnitten meine Wunden auf und dann realisierte ich, dass es nicht Glas war, sondern mein Herz.
Ich werde mich nie wieder verlieben.
Es ist unmöglich.
Ein kalter Windzug ließ meinen Körpern noch mehr zittern, als er es schon tat. Ohne überhaupt psychisch anwesend zu sein, ging ich wieder zurück ins Schulgebäude.
Ich konnte nicht nachhause.
Denn dort war es auch nicht besser.
Jetzt war es noch voller als zuvor und die Leute drängten sich durch die Meute. Ich wurde mehrmals zur Seite gestoßen, aber nicht einmal das nahm ich wahr. Es ist aus.
Statt zu weinen, oder irgendwo anders meine Gefühle rauszulassen, suchte ich die Getränkebar.
Meine Augenlider hingen schwer herab und mein Brustkorb schmerzte. Ich kannte dieses Gefühl allzu sehr.
Dieses Ziehen.
Manchmal mochte ich das Gefühl und manchmal nicht.
Jetzt verabscheute ich es.
Es ließ eine Leere in mir zurück, die niemand anderes verstehen konnte.
Nicht einmal ich.
Da man hier keinen Alkohol trinken durfte, holte ich mir eine einfache Flasche Wasser. Ich brauchte irgendetwas, dass meine dreckigen Worte aus meinem Mund waschen konnte.
Doch nachdem ich es bestellt hatte und gerade mein Geldbeute aus meiner Tasche rausholte, rempelte mich jemand so stark von hinten an, dass ich ins Schwanken geriet.
Ich war mir schon ohne hinzugucken sicher, wer es war.
"Wow Y/n, echt schönes Outfit"
Nicht jetzt. Wieso muss sie immer in den ungünstigsten Momenten auftauchen?
Ich wandte mich langsam zu Ibara und blickte sie gelangweilt an.
Die letzten Wochen hatte ich sie nur selten gesehen, da ich immer einen großen Bogen um ihre Klassenzimmer machte und sie dann auch meist keine Chance hatte mich anzusprechen.
Mein Blutdruck stieg rasend in die Höhe, aber ich ließ mir nichts anmerken. "Danke."
Natürlich hatte sie das Kompliment sarkastisch gemeint, jedoch tat ich so, als hätte ich es nicht bemerkt.
Sie sah mich mit schmalen Augen an, ehe sie ein Schritt nach vorne ging.
"Es verdeckt ein bisschen viel, meinst du nicht auch? Hier drinnen ist es schon warm, wieso hast du denn ein langärmliges Kleid an?"
Ich zuckte abrupt zusammen.
Nein. Sie.. Nein, sie hat es nur so beiläufig erwähnt. Diese Bitch weiß nichts von meinen Narben.
"Hm, also ich finde es sehr kalt, es ist ja Winter. Aber wenn ich dich so ansehe.. hast du noch vor deine spezielle Arbeit zu verrichten?
Das Outfit finde ich sehr passend dafür."
Ihr rotes Minikleid rutschte automatisch nach oben, als sie ihre Arme vor ihrer Brust verschränkte.
"Was hast du gesagt?"
Ich zuckte mit den Achseln.
"Für wieviel bläst du jemanden einen eigendlich? Ein Freund von mir würde das gerne wissen."
Sie senkte ihre Arme und ihre Lippen verzogen sich zu einem dünnen Strich. "Besser eine Hure sein, als irgendein depressives Mädchen, welches anscheinend aufmerksamkeitssüchtig ist und alles für Mitleid tut."
Ich schluckte. Sie weiß es nicht. Sie kann es nicht wissen.
Bevor ich etwas darauf entgegnen konnte, kehrte sie mir den Rücken zu und ging. Natürlich musste sie dabei wie irgendein prominentes Mädchen ihre Haare zur Seite schwingen lassen.
Bei dem Gedanken, dass sie aber wirklich von meinen Narben Bescheid wusste, ließ mich jedoch nicht los. Mir wurde Übel und die plötzliche Hitze brachte mich um.
Hör auf zu denken. Das kann einfach nicht sein.
Doch wenn ich dann versuchte sie zu vergessen, kam mir Shoto in den Kopf. Jede einzelne Sekunde verwandelte sich zu Stunden, wo mein Herz immer mehr Risse bekam.
Ich stützte mich an einem Stuhl ab, aber es brachte nichts.
Die stickige Luft machte alles nur noch schlimmer und ich war mir sicher, dass ich es nicht mehr lange aushalten würde. Entweder ich würde in der nächsten Minute in Ohnmacht fallen oder mich hier und jetzt vor allen erbrechen.
Auf einmal setzte sich mein Körper wie von selbst in Bewegung und ich rannte einfach los. Ich quetschte mich durch die Leute, stolperte über einige Füße und lief holprig bis ans andere Ende der Aula. Nachdem ich den Gang erreichte, stieg ich so schnell es ging die Treppen hoch und keuchte.
Im ersten Stock gab es einen Balkon und da jetzt glücklicherweise irgendeine Zeremonie anfing, war er komplett leer. Die Kälte fühlte sich wie ein Schlag in mein Gesicht an, weil es mich an Shoto erinnerte.
Shoto.. Wieso bin ich nur so schlimm? Was ist falsch mit mir??
Er war so gut zu mir.
Ich bin dreckig. Ich habe ihn nicht verdiehnt. "Stirb."
Meine Knie wurden wackelig.
Jeder Schritt war wie ein Kampf mit mir selbst. Mein Herz lieferte eine Schlacht gegen mein Gehirn und ich wusste nicht, wem ich von beiden vertrauen sollte.
"Vergib Shoto, ihr gehört zusammen."
"Nein, er hat dich verletzt."
Zwei Gedanken, die ich nicht einmal zuordnen konnte.
Meine Augen wurden feucht und ich spührte die erste Träne runterollen.
Ich wollte nicht weinen, wirklich.
Aber in dem Moment war es meine einzige Befreiung.
Langsam ging ich auf das Gitter zu und bohrte meine Nägel in das eisige Metal, wie ich es an dem Abend, wo ich mich umbringen wollte, gemacht habe. Ich blickte nach unten.
20 Meter. Es würde gehen.
...
Ich klatschte meine Hand auf den Mund, weil dieser Gedanke so plötzlich durch meinen Kopf ging, dass ich es kaum glauben konnte.
Das kam nicht von dir. Diese Worte hast du nicht innerlich ausgesprochen.
Plötzlich hörte ich ein lautes Schnauben und mein Herz sprang mir fast aus der Brust.
Fuck, ich dachte ich bin alleine.
Als ich zur anderen Seite blickte, spannte sich alles in mir an.
Katsuki stand am Ende des Balkons und zog an einer Zigarette. Obwohl es unmöglich war, dass er mich nicht bemerkt hatte, lag seine ganze Aufmerksamkeit auf den Anblick der Stadt.
In seinen Pupillen spiegelte sich ein riesiger Schmerz ab, den er warscheinlich mit dem Nikotin kanalisieren wollte. Ich verstand es nur zu gut. Jeder brauchte ein Ventil, wenn es ihm nicht gut ging.
Etwas, womit man für einen kurzen Moment aus der Realität verschwinden konnte.
Seien es Freunde, Musik, Drogen oder Selbstverletzung, alleine war es fast unmöglich sein Leben in den Griff zu bekommen.
Trotz allem konnte ich meinen Blick nicht von ihm abwenden.
Ich versuchte es nicht einmal zu verstecken. Am Gitter wie ich angelehnt, zog Katsuki alle paar Sekunden an der Kippe und atmete anschließend den Rauch wieder aus.
Er war so ruhig.
Ich wollte aber garnicht wissen, was bei ihm wirklich abging.
Denn die Leute, die von außen immer glücklich oder sorglos schienen, waren meist diejenigen, die am meisten litten.
Auf einmal räusperte er sich und schaute mich im nächsten Moment an. Keine Reaktion. Seine Miene war undruchdringlich, jedoch entging mir nicht, dass etwas in seinen Pupillen aufflackerte.
Katsuki kannte mich.
Mir war seit langem klar, dass wir keine Worte brauchten, um miteinander zu kommunizieren.
Und das war auch der immer der Grund gewesen, wieso ich diesen Abstand von ihm brauchte.
Aber wenn ich ihn jetzt ansah..
Seine blutroten Augen schauten in mein inneres, öffneten mich wie ein Buch und blätterten jede Seite durch.
Etwas, was Shoto nie getan hatte.
Nie tun konnte.
Aber ich wollte das.
"Willst du?" Er streckte seinen Arm vor, wo seine Zigarette zwischen den Fingern steckte. Ohne darüber nachzudenken, ging ich auf ihn zu und lehnte mich neben ihn ans Gitter, bevor ich sie etwas zögerlich annahm.
"Das war leider meine letzte.", erklärte er, aber ich winkte nur ab.
Die Kippe fühlte sich fremd an.
Ich zog leicht daran und musste mir ein Husten unterdrücken.
Der Rauch füllte meine Lungen und irgendwie öffneten sie sich.
"Ich wusste nicht, dass du rauchst.", sagte ich nach ein paar Sekunden der Stille, nachdem ich sie ihm wieder gegeben habe.
Katsuki nahm einen langen Zug und betrachtete die bunten Lichter von Tokio. Ich folgte seinem Blick und verlor mich ihm nächsten Moment darin. Es sah wunderschön aus.
"Mache ich auch eigendlich nicht, aber wenn alles zu viel wird, dass man nicht einmal mehr atmen kann, dann brauche ich es. Sonst würde ich nicht nur die Klasse ins Krankenhaus bringen, sondern die ganze Stadt."
Unsere Schultern berührten sich leicht und meine Haut erwärmte sich bei der Berührung mit seiner.
Ich wollte fragen, was passiert war, aber zögerte. Er würde mir nichts verraten und warscheinlich wollte er das auch nicht. Warte. Das hier ist Katsuki, nicht Shoto.
"Wieso konntest du nicht atmen?", erkundigte ich mich dann.
Er war mir einen kurzen Seitenblick zu und gab mir wieder seine Kippe.
"Es ist viel passiert. Ich habe Kiri verletzt und dann hat Denki mich verletzt. Alles sehr dramatisch und eine lange Geschichte."
Mache nicht den gleichen Fehler, den du bei Shoto gemacht hast.
"Ich mag lange Geschichten, also wenn du es mir erzählen willst, dann höre ich dir zu." Jetzt schaute er mich für einen längeren Moment an.
An was denkst du??
Sein neutraler Gesichtsausdruck verriet mir nichts.
"Okay."
Er wandte seinen Blick nicht von mir ab, sondern blinzelte nur langsam.
Ein warmes Gefühl stieg in mir hoch und mein Herz schlug im regelmäßigen Tempo auf und ab.
Ich wollte, dass er mich weiterhin anschaute. Dass ich für Stunden seine roten Augen betrachten konnte und wir ohne Worte miteinander kommunizierten.
Denn manchmal konnte Schweigen mehr bedeuten, als ein unendlich langes Gespräch.
Und Katsukis Schweigen war wie Balsam auf meinen Wunden.
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