Kapitel 60


Y/n:

"Ja, ich wollte ihn. Mehr als alles andere sogar."

Scheiße, er liebte mich.
Und ich liebte ihn auch.
Was sollte das jetzt heißen, dass wir heute zusammenkommen?
Geht das alles wirklich so schnell, ein Kuss und gleich ist man zusammen?

"Man sieht dir echt an, wie nervös du bist. Dein erstes Date, oder was?"
Während ich meine Haare glättete und mich fertig machte, telefonierte Kyoka über Face-Time mit mir und versuchte mich zu beruhigen.

Ich habe mich schon zwei Mal an meinem Glätteisen verbrannt, weil meine Hände immer wieder anfingen leicht zu zittern.
Als Kyoka mich skeptisch ansah, nickte ich nur.

Sie schüttelte ihren Kopf und massierte sich die Stirn.
"Man, ich hätte zu dir kommen sollen. Du bist ja kurz vorm austicken."

"Was ich? Nein, natürlich nicht! Ich bin so chillig wie noch nie."
Gleich darauf verbrannte ich mich wieder und schrie schmerzerfüllt auf. "Fuck man!"

Ich ließ das Glätteisen auf den Tisch fallen und gab endgültig auf.
"Okay, es reicht. Dann muss ich mich halt mit halb geglätteten Haaren abgeben."

Auf der anderen Leitung hörte ich ein Kichern. "Na schön, Charakter zählt ja sowieso. Scheiß auf's Aussehen. Sag mal, wie viel Uhr ist es eigendlich?"

Ich schaute schnell auf meinem Handy nach und hatte nur noch fünf Minuten. Mein Herz sprang für einen kurzen Moment auf, weil ich immernoch nicht glauben konnte, was heute geschehen war.

"Aber irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen.", sagte meine Freundin aufeinmal und ich blickte sie verwirrt an.

"Was?"

Sie zuckte mit ihren Schultern.
"Naja, früher war Shoto immer.. sagen wir's mal so, er war nicht gerade an Liebe interessiert. Und dann hatte er noch voll die komische Phase, wo er wirklich niemanden leiden konnte und kaum in der Schule war." Aufeinmal spührte ich eine leichte Schwere in mir, aber Kyoka schüttelte gleich wieder den Kopf.

"Ach vergiss es. Er sieht ja jetzt glücklicher aus und ich glaube, dass du damit was zutun hast." Sie lächelte bevor sie aber noch hinzufügte: "Geh aber doch etwas langsamer an, okay? Er ist.. naja ich habe Angst, dass er dich vielleicht verletzt, weil er manchmal echt kalt sein kann. Und du weißt, er wird auch viel zu tun haben, weil sein Vater..-"

"Danke Kyoka, aber jetzt hör auf zu labern, er ist nämlich gleich da."
Ich wusste, dass sie mich nur beschützen wollte, aber ich glaubte dennoch, dass ich Shoto besser kannte, als sie es tat. Auch wenn er seine Phasen hatte und manchmal distanziert rüber kommen konnte, war er bis jetzt immer freundlich und liebenswert gegenüber mir gewesen.
Außer als wir uns zum ersten mal auf der Schultoilette begegnet sind.

Gerade als ich wieder über die leeren Augen und dem Gestank der Zigarette nachdachte, klingelte es.
Oh fuck, ich habe vergessen ihm zu sagen, dass er nicht klingeln soll!

"Scheiße Kyoka ich muss los!"
Sie verabschiedete sich mit einem Grinsen von mir und legte auf, während ich meine Tasche nahm und die Treppen nach unten hastete.

Doch es war schon zu spät.
Meine Mutter öffnete bereits die Tür und musterte ihn, wie an dem Tag, wo er mich von der Party abgeholt hatte, von oben bis unten.

Shoto reichte ihr die Hand und begrüßte sie, aber meine Mutter nahm sie nur zögerlich an.
Bevor sie überhaupt etwas sagen konnte, stand ich schon zwischen den beiden.

"Hallo Shoto!" Ich lächelte ihn an und wandte mich gleich darauf zu meiner Mutter. "Shoto und ich wollen heute ein bisschen rausgehen."

Sie wechselte langsam ihren Blick zwischen uns hin und her, als sie dann fragte: "Ein Date?"

Ich schluckte, weil ich nicht wusste, wie ich antworten sollte.
Ja, ein Date, aber das solltest du nicht wissen.

"Nein, wir gehen nur zusammen zu ein paar Freunden. Nichts besonderes, dort spielen wir Spiele und reden über unnötigen Schwachsinn." Shoto klang so überzeigend, dass meine Mutter es ihm sogar abkaufte.

Als sie nickte und sich von uns verabschiedete, verließen wir das Haus und gingen raus.
Ich atmete erleichtert aus und gestand: "Wow, du kannst echt gut lügen."

Er lächelte.
"Ja, ich musste meine Familie auch oft anlügen."

Ich wollte fragen wieso, ließ es dann aber sein. Wenn er es mir sagen wollen würde, dann würde er es tun.

"Also, wo gehen wir hin?", fragte ich stadessen und mein Herz machte einen Satz.

"Das wirst du schon sehen.", antwortete er im Gegensatz zu mir gelassen und öffnete mir die Beifahrertür. Als ich mich reinsetzte und er das Auto startete, machte er meine Playlist an, die ich ihm vor ein paar Wochen empfohlen habe.

Ich musste grinsen und lehnte mich zurück. "Wie gefällt dir eigendlich mein Musikgeschmackt?"

Als er aus der Einfahrt fuhr, sagte er: "Sie ist wirklich vielfältig."
Ich schmunzelte. "Und das heißt?"

"Dass heißt, es kommt drauf an. Da du anscheinend zu faul warst Songs von "ACDC" und "The Neighbourhood" zu trennen erlebt man viele plötzliche Stimmunswechsel.", meinte er.

Ohne darüber nachzudenken, erwiderte ich gleich: "Das ist doch gut! Stell dir vor du hörst nur traurige Musik und willst nicht immer die Playlist wechseln. Das macht dann einen komplett depressiv."

Er zog ungläubig seine Brauen hoch und auf seiner Stirn bildete sich eine leichte Falte. "Okay, da hast du Recht. Aber stell dir mal vor, wir würden uns jetzt im Auto bei dem Lied "Sure Thing" küssen und aufeinmal wechselt die Musik zu "Highway to Hell"."

Ich lachte laut auf und lief zugleich rot an. Shit, wie kann er so gelassen sein??
"Also ich finde, das wäre lustig. Du nicht?"

"Nicht bei einem Kuss. Stell dir vor die Leute die uns dann zusehen hören das!" Jetzt musste er selber Grinsen.

Als er aufeinmal einparkte, bemerkte ich erst jetzt, dass wir beim Starbucks waren. Wo unser erstes Treffen war.
Ich schaute ihn skeptisch an. "Okay, daran habe ich nicht gedacht."

Er schüttelte seinen Kopf.
"Ich auch nicht, wir holen uns hier nämlich nur Getränke. Denkst du wirklich, dass ich mein erstes Date mit dir in einem überfüllten Café verbringen will, wo man nicht einmal seine eigene Stimme beim Reden hört?"

Ich zuckte mit meinen Schultern, während ich mit meinem Finger auf meinem Oberschenkel tippte.
"Kann doch gut sein."

"Warte hier, ich bin gleich da."
Er stieg gleich darauf aus und bevor ich ihm überhaupt sagen konnte, was ich trinken wollte, war er schon weg.

Als er nach circa fünf Minuten wieder mit zwei vollgepackten Tüten zurückkam, fragte ich, während ich lachte: "Was hast du bitte alles eingekauft? Fahren wir irgendwo über Nacht hin, oder vielleicht sogar länger?"

Er setzte sich ins Auto und legte die Papiertüten auf seinen Schoß.
Danach fischte er zwei Getränke und ein paar Cookies raus.

Mir blieb der Mund offen stehen.
"Verdammt, woher wusstest du..-"

"Hier dein Iced White Chocolate Mokka und dazu noch...-
Er krammte weiter in der Türe herum, bis er einen weiteren Cafe rausholte. "..Mit deinem Vanilla Latte, weil du dich ja nie für ein kaltes oder warmes Getränk entscheiden kannst."

Erneut griff er rein.
"Dazu noch ein Double Chocolate Cookie und auf gar keinen Fall nur der normale Chocolate Cookie, weil er deiner Meinung nach nicht süß genug schmeckt."

"Okay, ich habe ab jetzt definitiv Angst vor dir. Woher weißt du das alles?! Ich habe letztes mal nichts davon gekauft!" Ich öffnete ungeduldig den Deckel und trank einen Schluck.

"Würdest du mir glauben, wenn ich dir sagen würde, dass du mir dass alles erzählt hast, als du betrunken gewesen warst?" Sein Ton klang so seriös, dass ich kurz davor war, den Kafe auszuspucken.

Abrupt wandte ich mich zu ihm, doch er würdigte mich keines Blickes, sondern fuhr weiter.
"Das ist nicht dein Ernst."

Er zuckte nur mit den Schultern.
"Wenn du trinkst bist du ein sehr gesprächiger Mensch."

"Was habe ich noch alles gesagt?"

"Naja.. wo soll ich nur anfangen?"
Ich haute ihm leicht gegen die Schulter und lachte.
"Shoto, sag es doch!"

Kurz befürchtete ich, dass ich ihm etwas zu persönliches erzählt habe, doch auf seinen Wangen bildeten sich Grüppchen, als er sagte: "Du hast mir von deiner ersten Kindergartenliebe erzählt. Anscheinend habt ihr sogar geheiratet."

Ich stöhnte genervt auf und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
"Oh nein!"

Aufeinmal fuhr er deutlich langsamer und parkte ein.
"Warte wie hieß er?.."
Vergiss es, vergiss es, vergiss es!

"Ahh Adam! Ja Adam war der Name deines Geliebten!"

Ich sank tiefer in dem Ledersitz ein und traute mich gar nicht mehr aufzuschauen. Ich betete einfach nur, dass ich ihm nicht den Rest erzählt habe.

"Und dann..", fuhr er fort, doch ich unterbrach ihn.

"Bitte nicht!"

Er lachte auf.
"Aber das Ende ist doch so lustig!"

Ich schüttelte meinen Kopf und stieg aus dem Auto aus, als es stehenblieb.
"Dann erzähl es dir selber nochmal, aber ich will davon nichts mehr wissen!"

Gleich darauf schloss ich die Beifahrertür und ging langsam los.
Nach ein paar Sekunden holte Shoto mich schon mit den Tüten vollgepackt ein. "Kann ich dir helfen?", fragte ich, doch er ignorierte mich.

"Und dann, als du erfahren hast, dass Adam mit noch ein paar anderen Mädchen verheiratet war, bist du ausgetickt. Ich meine, du hast ihm einfach, während er schlief auf seinen Schuhen mit einem Edding Einhörner draufgemalt!" Er redete so voller Überzeugung und Willenskraft, dass ich es ihm einfach nicht Übel nehmen konnte.

Ich verschränkte meine Arme und schaute ihn ernst an.
"Was hättest du denn getan?"

"Hmm." Er tat so, als würde er überlegen und antwortete dann nach einem Moment: "Es zivilisiert klären. Also was du gemacht hast, ist schon krass."

"Ach wirklich? Na dann sei besser nicht gemein zu mir, wenn auch nicht du Einhörner auf deinen Schuhen haben willst. Ich habe immernoch Wasserfeste Farbe zuhause.", drohte ich und er hob gleich darauf mit den Tüten unschuldig seine Hände in die Luft.

"Bestimmt nicht!"

Wir beide waren kurz davor wieder in Gelächter auszubrechen, als ich mich aufeinmal umsah und mich dann erkundigte: "Wo gehen wir eigendlich hin?"

Shoto beschleunigte seine Geschwindigkeit und antwortete: "Wir sind in zwei Minuten da."

Wir liefen auf einem Gehweg neben der Straße und die Sonne ging schon langsam unter. Ich genoss den Teil der Stadt hier, da es viel ruhiger war und nicht ein Haufen Hochhäuser den Horizont verbergten.

Nachdem wir die Straße überquerten und auf einen kleinen Hügel stiegen, erkannte ich erst ganz oben wo wir waren. Vor uns erstreckte sich eine ewig lange Landebahn, die zwischen zwei weiteren kleinen Bergen endete.

Und genau zwischen diesen Hügeln sinkte die Sonne und der Himmel verfäbrte sich zu rot- und orangetönen. Es war relativ leer, weswegen man nur die Heuschrecken im Gras hören konnte.

"Woww, ich.." Ich hatte keine Worte.
Alles an diesem Bild war perfekt und unbeschreiblich.

"Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der ursprüngliche Flughafen abgebaut. Jetzt benutzt man diesen Ort hier eigendlich nur zum Fahrradfahren, seinen Frieden finden, eingeschlossen mit Kiffen, oder um ein Date zu haben, wie wir."

Shoto ließ sich ins hohe Gras fallen, aber ich blieb weiterhin stehen.
"Ich glaube ich könnte hier auch meinen Frieden finden. Aber ohne Drogen."

Ich streckte meinen rechte Hand in die Höhe und spührte die Sonnenstrahlen auf meiner Haut.
Es war einfach schon November und trotzdem war es angenehm warm.

Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte ich mich neben Shoto und drehte mich zu ihm. "Das hier.. Danke, wirklich. Das ist mein erstes Date und zugleich könnte ich mir kein perfekteres vorstellen."

Er lächelte leicht und blickte zum Horizont. "Ich wollte dir einfach mal etwas zeigen, was mir viel bedeutet. Einen Ort, wo ich hingehe, wenn ich mal Luft zum atmen brauche."

"Wann hast du denn keine Luft zum atmen mehr?", fragte ich etwas zögerlich.

Für einen kurzen Moment antwortete er nicht, sondern hielt seinen Blick nach vorne. Dann atmete er hörbar aus. "Manchmal, wenn ich den Sinn hinter allem Suche."

Ich rutschte ein wenig näher zu ihm, bis sich unsere Arme streiften.
"Welchen Sinn?"

"Denn Sinn hinter allem.
Wieso das alles hier geschieht, wieso jeder hier kämpft und versucht einen passenden Platz auf dieser Welt zu finden.
Wieso wir alle dieselbe Luft einatmen und jeder das gleiche Schicksaal hat, aber wir alle doch nur für uns leben.
Einfach der Sinn, für das, was vor uns steht. Verstehst du das irgendwie?"

Ich schlang meine Arme um meine Knie und folgte seinem Blick.
"Ja, sehr."

"Und wenn ich hier bin.. dann sehe ich diesen Sinn. Siehst du die Sonne?", fragte er mich aufeinmal und ich wurde kurz aus meiner Trance gerissen.

"Ja."

"Sie ist jeden Tag da. Ja, manchmal sieht man sie nicht, aber trotzdem ist sie da. Egal was hier auf der Erde passiert, Krieg, Krankheiten, Tode, sie ist jeden Tag da. Wir alle werden irgendwann sterben und trotzdem wird sie da sein. Obwohl ich so unbedeutend bin, ist es auch so eine Erleichterung." Er machte eine kurze Pause, bevor er weiterredete.

"Und meiner Meinung nach ist das der Sinn, einfach zu leben. Ich habe keine Ahnung, was nach dem Tod passiert, ob es Himmel oder Hölle gibt.. Aber ich bin mir bei einer Sache sicher. Wenn ich lebe, dann nur einmal. Und genau deswegen, sollte man es nicht mit unwichtigem Dingen wie Trauer verschwenden und einfach leben."

Es war so ruhig, zugleich aber auch laut.

"Shoto..das sind so unglaublich schöne Worte.."

Plötzlich wandte er sich zu mir um und schaute mir tief in die Augen.
Meer und Nacht. Doch es ist die Nacht.

"Ja, das sind sie. Aber ich sehe diese Worte nicht in mir, sondern in dir. Und deswegen liebe ich dich so sehr."

Mein Herz blieb stehen. Ich spürte meine Narben unter meiner Haut pochen, welche mir klar deutlich machen wollten, dass das alles nicht stimmte.
Aber da waren Shotos Augen..

Sie sahen mich an.
Doch ohne Vorwürfe. In seinen Augen war ich perfekt, selbstbewusst und die Person, die ich immer sein wollte.
In seinen Augen war ich das glückliche Mädchen aus Amerika, die keine Ahnung von Allem hatte.
Und die wollte ich unbedingt sein.

Meine Narben brannten, wollten mich an das erinnern, was ich eigentlich war, doch ich ignorierte es.
Ich hatte noch eine Chance, die zu werden, die ich mal gewesen war.

Doch ich würde lügen.
Als ich gerade etwas darauf erwidern wollte, ließ er mich nicht ausreden. Langsam kam er näher und legte seine Hand auf meine Wange. Sofort prickelte meine Haut und ich rückte reflexartig näher.

Ich konnte meinen Blick nicht von seinen Augen abwenden.
Nacht. Meer.
Nacht, ich will unbedingt Nacht.

Und bevor ich überhaupt richtig wahrnehmen konnte was geschah, legte er seine Lippen auf meine und küsste mich.

Vergessen. Ich liebe und hasse diese Lüge zugleich. Doch wenn ich mich entscheiden müsste, dann wäre es die Lüge.

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