Kapitel 57
Y/n:
Es fühlte sich an, als hätte mich jemand in ein eiskaltes, tosendes Meer geschubst.
Jede Faser, jeder Muskel und alles was mich von Außen ausmachte, zog sich so eng zusammen, dass ich nicht mehr atmen konnte.
Atme. Atme. Atme.
Verdammt, wie?
Ich spührte wie die Luft aus meinen Lungen wich und mein Herz aus purer Verzweiflung aus meiner Brust sprang.
Ihre Augen.
Ich hatte sie nie vergessen. Sie haben mich nächtelang in den Sommerferien verfolgt und mich jede einzelne Sekunde daran erinnert, was für ein Wrack ich doch eigentlich war. Ein Verlierer, nichts anderes.
Die letzten Monate habe ich alles daran gesetzt, diese unglaublich große Schlitzwunde zu nähen und hoffte, dass sie verblasste.
Und als ich einmal das Gefühl hatte, sie wäre schon verheilt und ich könnte jetzt endlich mal etwas mit mir anfangen, rissen die Näten auf und ich war wieder am bluten.
Meine Beine wurden wackelig, weswegen ich mich mit einer Hand leicht an der Wand abstützte, um nicht gleich einzusacken.
Obwohl sich meine Stimmbänder zuschnürrten, zwang ich mich zu antworten.
"Was..was machst du hier?", fragte ich mit zittriger Stimme und wagte es nicht, ihr in die Augen zu blicken.
"Ach, wusstest du das nicht?"
Ich hörte, wie sie ein ironisches Lachen von sich gab und Momo gleich darauf leicht meine Hand nahm.
"Wir können gehen.", wollte sie mir damit mitteilen, doch ich drückte sie etwas fest, um ihr zu sagen, dass wir dableiben sollten.
Obwohl ich kurz davor war mich zu übergeben, wollte ich keine Schwäche zeigen und abhauen. Denn wenn ich wirklich erbrechen würde, könnte ich gleich darauf ihre polierten Schuhe ruinieren.
"Unser Stundenplan wurde gewechselt, was heißt, dass ich immer im Klassenzimmer neben euch Unterricht haben werde.", erklärte sie, bevor sie nach einer kurzen Pause fortfuhr.
"Das heißt, wir werden uns hier jetzt endlich wieder sehen."
Ihr Blick durchbohrte mich regelrecht und befahl mir, auch aufzuschauen.
Mein Mund war staubtrocken, aber ich traute mich nicht zu schlucken.
Aufeinmal spührte ich, wie Ibara mir näher kam und sich zu mir vorbeugte.
Sofort nahm ich wieder Momos Händedruck wahr, doch ich schüttelte ihn ab.
Ibara. Ich werde nicht noch einmal zurückweichen und wegen dir weinen.
Deswegen sag die verfickte Scheiße und verpiss dich.
"Aber nicht nur hier.", flüsterte sie mir mit bittersüßer Stimme so leise ins Ohr, dass nur ich es hören konnte.
Meine Haut wurde an der Stelle, wo der Atem sie berührte, sofort eiskalt und ich biss mir auf die Zunge.
"Denn anscheinend läuft es mit deiner verfickten Hurenmutter und meinem Vater echt gut. Vielleicht ziehen wir ja wirklich zusammen.
Wäre das nicht super?"
In meinem Hals bildete sich ein Klos und mein Kopf überhitzte sich komplett.
Atme. Atme. Das ist alles nicht wahr.
Sie lügt. Sie ist eine beschissene, selbstverliebte, arrogante, verlogene Schlampe. Atme.
"Was ist denn aufeinmal los, Y/n?
Hat dir deine Mutter etwa wieder alles verschwiegen?", erkundigte sie sich jetzt etwas lauter und ich sah, wie Momo sich verwirrt zu mir wandte.
Ich hatte Angst. So eine unbeschreiblich große Angst, dass sich alles in mir zusammenzog und sich nicht zu bewegen wagte.
Diese Angst, wo man hoffte, einfach nur zu träumen und irgendwann aus dem Horror aufzuwachen.
Zu beten, dass das hier nicht real war.
Und inmitten dieser Furcht, kam mir urplötzlich eine Erinnerung mit Katsuki in den Kopf.
"Macht dich etwas unglücklich?"
Er hielt für einen kurzen Moment inne und runzelte sich die Stirn.
"Mhm.. Nein, mich machen Sachen eher aggressiv."
Ich hob verständnislos meine Augenbrauen und verschränkte meine Arme.
"Wie meinst du das?"
"Natürlich wäre ich traurig, wenn jemand stirbt oder wenn halt so etwas
passiert, wie bei dir. Aber ich wandle meine Trauer in Wut um, damit kann ich besser umgehen.
Bin nicht so ein sensibelchen wie du."
"Halt deine verdammte Fresse.", knurrte ich und ballte meine Hand zur Faust. Wut. Sie wird nicht wieder auf mich herabsehen.
Ich spührte, wie das Adrenalin durch mein Blut schießte und die Furcht in mir unterdrückte. Meine Lungen brannten und das einzige was ich fühlte, war Hass.
"Oh, hab ich da etwa einen Schwachpunkt getroffen?"
Momo zog scharf die Luft ein, doch ich ignorierte sie.
"Was musst du bitte für eine Mutter haben, dass sie dich so oft belügt und hintergeht. Wie du dich wohl fühlen musst.. Bestimmt gehörst du auch noch zu diesen komischen Emos die sich um 3 Uhr nachts mit der Schere über die Haut fahren und von der Brücke springen wollen."
Das reicht.
Zum ersten mal hob ich meinen Blick und starrte sie an. Ihre Augen funkelten voller Vergnügen doch in meinen loderte Feuer.
Wut.
"Du kennst mich nicht.", knurrte ich voller Abscheu und ließ sie nichts drauf erwidern.
"Du hast nicht das gesehen, was ich gesehen habe.
Nicht das erlebt, was ich erlebt habe. Nicht den Schmerz gefühlt, den ich gefühlt habe.
Du warst noch nie in diesem beschissenen Körper drinnen und nimmst dir das Recht, über mich zu urteilen? Was bist du bitte für ein verabscheuenswerter Mensch, dass du dich noch traust über meine Mutter zu reden und einfach so wieder in mein Leben hineinzuplatzen?!"
Oh nein, ich würde nicht als erstes zuschlagen. Sie würde mir das alles hier nicht kaputt machen.
Doch Ibara konnte es nicht sein lassen.
"Soll ich jetzt Mitleid mit dir haben, weil du Stress mit deiner Mutter hast?
Bist du dadurch besonders, oder was? Tut mir leid wenn ich dir jetzt einen Schubs in die Realität gebe, aber du bist ein Nichts. Du bist sogar so unnötig, dass sich Leben bei dir nicht lohnt.
Um ehrlich zu sein, hoffe ich einfach nur, dass du zu diesen komischen Emos gehörst. Denn ohne dich, ist diese Welt weitaus schöner."
Langsam atmete ich tief ein und aus.
Meine Augen waren weder glasig noch rot. Nichts an mir regte sich.
Ich hätte springen sollen.
"Weißt du was? Du hast recht, ich bin überflüssig und wirklich nur ein Nichts. Ich könnte wirklich einfach nur sterben gehen und es würde sogar niemand bemerken.
Aber ich lebe. Und das nur aus einem Grund." Meine Lippen bebten.
"Um den Leuten da draußen zu zeigen, dass mein Niveau nie im Leben so weit nach unten wie deins sinken würde. Im Gegensatz zu dir versuche ich nämlich meine verabscheuenswerte Seite zu verbergen und nicht auf andere Leute loszulassen, um mich dann vielleicht besser zu fühlen. Denn ich bin mir sicher, dass du nicht glücklicher als ich bist."
Ihre Augen weiteten sich für einen Moment und als sie nichts darauf antwortete, fragte ich: "So und können wir jetzt gehen? Mein Frühstück ist mir nämlich weitaus wichtiger, als ein Gespräch mit jemandem zu führen, der mich zu Selbstmord anstiften möchte."
Als sie nach ein paar Sekunden immernoch nichts darauf entgegnete, sondern mich nur eindringlich anschaute, drehte ich mich einfach ab und ging.
Ich hörte wie Momo mir sprachlos hinterhereilte und atmete erleichtert aus.
Aber als sie gerade etwas sagen wollte, hörte ich Ibaras eiskalte Stimme hinterherhallen. "Ich mag deine Haare."
Und ich deine Nase.
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