Kapitel 24
Y/n:
"Vor ungefähr einem Jahr wollte ich mich umbringen."
Alles wurde still.
Nicht einmal die Autos auf der Straße waren zu hören.
Es fühlte sich an, als würde die Welt sich aufhören zu drehen.
Zum ersten Mal habe ich diese Worte laut ausgesprochen.
Mein Herz hörte auf zu schlagen.
Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu blicken oder ihn gar anzuschauen.
Alles war schwarz und ich hatte das Gefühl, als ich würde fallen.
Fallen in ein tiefes, dunkles Meer und dort ertrinken, in all dieser negativen Energie, die hier in der Luft lag.
Ich fühlte mich verloren.
Verloren in meinen Gefühlen.
Verloren in meinen Worten.
Verloren in meinem Leben.
Ich hörte wie er aufstand und wahrscheinlich aus diesem Raum ging, weil es einfach zu viel für ihn war.
Ich hätte es verstanden.
Doch aufeinmal drang Wärme in mir ein. Eine solche Wärme, die ich mir hätte nie vorstellen können.
Bei unserer ersten Umarmung war alles still und friedlich. Ich atmete ruhig und fühlte mich frei.
Doch bei dieser war alles anders.
Bei dieser platzte ich.
Katsuki:
Sie weinte.
Doch sie weinte nicht auf eine übliche Weise, wenn man traurig war, nein.
Sie weinte ihren Schmerz auf einem komplett anderem Level heraus.
Sie schrie.
Es fühlte sich an, als würde sie platzen und alles herauslassen, was sie in den letzten Monaten in sich hineingefressen hatte.
Sie krallte sich an mir fest und ließ alles raus. Es dauerte mehrere Minuten und ich ließ sie in der Zeit keine Sekunde los.
Auch als sie bereits ruhiger wurde, konnte ich ihren Schmerz fühlen.
Sie hatte aufgegeben.
Sie hatte das akzeptiert, was sie war.
Aber ich konnte das nicht hinnehmen.
"Weine weiter.", sagte ich in einem ruhigen Ton.
Sie antwortete nicht.
"Lass jetzt alles raus. Wirklich alles.
Weil ich bin da. Ich fange dich auf, wenn du fällst. Vertrau mir."
Und das tat sie.
Y/n:
Jemand war da.
Jemand war da, um mich aufzufangen.
Seine Worte ließen mich erzittern.
Mit aller Kraft weinte und schrie ich, bis mir irgendwann die Luft wegblieb.
Bis ich irgendwann nicht mehr konnte und alles herausgelassen habe. Bis ich nur noch wimmerte.
Es fühlte sich alles so anders an.
Letztes mal war alles so langsam, jetzt war alles zu schnell. Die Welt drehte und drehte sich und ich hatte das Gefühl, als würde ich nicht mehr mitkommen können. Und doch war Katsuki hier, genauso wie ich in der Vergangenheit gefangen und half mir auf.
"Ich will reden.", flüsterte ich so leise, dass gerade mal er es hören konnte.
Mein Herz klopfte schwer gegen meine Brust.
"Okay, ich bin für dich da."
Als ich nach einer Minute des Schweigens immernoch nichts sagen konnte, fragte er mich plötzlich:
"Wieso wolltest du es tun?"
Meine Hände zitterten.
Was machst du nur.
Ich versuchte zu fest es ging dieses Gefühl zu ignorieren, doch es klappte nicht. Irgendetwas in mir, wehrte sich dagegen, zu antworten.
Ich kann das nicht. Nein ich kann das wirklich nicht.
Es war leichter gesagt als getan.
Abrupt stand ich auf und ging auf die andere Seite meines Zimmers. Die abrupte Kälte sorgte für eine Gänsehaut.
"Ich kann das doch nicht.
Bitte geh." Ich spürte, wie der plötzliche Stimmungswechsel von mir die Atmosphäre sofort änderte und die Luft wurde plötzlich stickig.
Unzählige Erinnerungen und Bilder borten sich in meinen Kopf und fraßen jedes Gefühl von Hoffung auf.
Ich hasste mich so sehr, weil ich mich selber nicht verstand.
Was wollte ich überhaupt? Ich wusste es nicht.
"Wieso wolltest du dich umbringen?", wiederholte er nur, doch etwas lauter.
"Katsuki, geh."
Meine Lungen schnürrten sich zu.
"Wieso?", er saß immer noch lässig vor meiner Tür und das provozierte mich.
Tränen liefen mir wieder über die Wange und erneut fühlte es sich an, als müsste ich platzen.
Ich habe immernoch nicht alles rausgelassen.
Aufeinmal stand er auf.
"Wieso wolltest du dich umbringen?"
Seine Stimme klang so ruhig, als wäre das eine komplett normale Frage.
Er kam näher. Jeder Schritt war zu viel für mich. Er drängte mich so in die Ecke bis ich eine Wand hinter mir spürte.
"Geh weg, bitte!", flehte ich ihn an.
Bei jedem Schritt fiel es mir schwerer zu Atmen. Ich konnte ihm immernoch nicht in seine Augen sehen. Mein ganzer Brustkorb zog sich zusammen und mir wurde übel.
"Wieso wolltest du dich umbringen?"
Er war nur noch einen Meter von mir entfernt. Diese Frage machte mich verrückt. Ja, wieso Y/n? Wieso wolltest du dein Leben beenden und alles zurücklassen? Weil ich nicht mehr konnte. Weil..
"GEH WEG!", ich schrie und weinte zugleich.
Er näherte sich, bis wir uns fast berührten.
Ich konnte seinen verfluchten Atem spüren.
"Wieso woll-.."
Es reicht.
"Weil ich diese verdammte Welt hasse! Ich kann einfach nicht mehr, ich leben, aber zugleich auch nicht mehr! Ich. Kann. Nicht. Mehr!"
Ich schubste ihn mit einer solchen Kraft weg, dass er bis auf die andere Seite des Zimmers stolperte und gegen die Wand knallte. Katsuki schnappte laut nach Luft, während er mich schockiert anstarrte und die Kontrolle verlor. Ich trat ihm näher und spürte wie jedes Fünkchen unsere Bindung in tausend Scherben zersplitterte.
"Du willst es wissen?! Okay, ich sags dir! Meine Mutter hat meinen Vater betrogen und das nicht nur einmal! Rate mal wie oft? Sechs mal!
Danach wollte sie sich scheiden lassen und das Sorgerecht übernehmen, aber ich wollte bei meinem Vater bleiben und sie sorgte dafür, dass er in den Knast kam! Ich lebe gerade bei jemanden, den ich so sehr hasse und wenn ich dir diese ganze Scheiße auflisten würde, die diese verdammte Frau getan hat, würde ich Stunden brauchen! Und das war nicht alles!"
Mein Gesicht war tränenüberseht und ich spührte gar nichts mehr außer Hass. Hass gegen ihn, Hass gegen meine Mutter, Hass gegen mich.
Katsuki blickte mit weit aufgerissenen Augen auf den Boden, was mein Blutdruck nur noch höher werden ließ. "Schau mich an, wenn ich mit dir rede!"
Sofort blickte er hoch.
"Als mein Vater dann im Gefängniss war, zogen wir weg. Auf einen fucking anderen Kontinent. Ich habe davor ihn der USA gelebt, verdammt nochmal! Es ist ein scheiß Jahr vergangen und ich telefoniere mit meinem Vater maximal einmal im Monat für zwei Minuten! Meine Mutter interessiert sich nicht für mich, mein Vater war der einzigste Mensch, den ich hatte."
Meine Stimme brach.
"Und genau diese Person hat sie mir weggenommen. Ich habe niemanden.
Keiner ist da. Dann kommst du aber aufeinmal daher und willst mir sagen, dass du mich auffängst, wenn ich falle und so einen kitschigen Scheiß."
Ich lachte auf und hielt eine mir meine pochende Stirn.
"Das geht aber nicht mehr, weil ich schon auf dem Boden aufgeprallt bin.
Alles an mir ist so wie es ist und so wird es auch immer bleiben.
Ich habe keine Hoffnung mehr, weil ich sowieso enttäuscht werde.
Ich gebe auf, weil ich keine Kraft mehr habe, um weiterzukämpfen.
Ich will nicht mehr Leben, weil ich es innerlich nicht mehr tue.
Ich bin schon tot, check es mal!"
Für einen kurzen Moment lachte ich immernoch, doch dann sank ich auf die Knie und weinte.
Ich bin wirklich schon tot.
Katsuki:
Ich fühlte mich komplett dreckig. Wegen mir war sie bei ihrem größten Tiefpunkt. Wegen mir. Wieder.
Als sie auf die Knie sank wusste ich, wie kaputt sie gerade war.
Aber ich war mir sicher, dass auch wenn es jetzt schlimm für sie war, es sich im nachhinein lohnen würde.
Es war wieder komplett still.
"Ich glaube jetzt hast du alles herausgelassen.", sagte ich nach einer kurzen Zeit und meine Stimme war kaum lauter, als die Hintergrundgeräusche der Stadt draußen.
Es dauerte einen kurzen Moment bis sie antwortete: "Fick dich."
Ich grinste schwach, als ich sagte: "Jetzt? Gerne, aber ich glaube für dich würde es kein schöner Anblick sein, oder vielleicht doch?" Es fühlte sich so absurd an, doch es musste sein.
Ich konnte nicht gut mit Leuten reden, aber vielleicht konnte ich etwas anderes gut.
Jetzt schaute sie mich an.
Obwohl ihre Augen komplett rot und glasig waren, spiegelte sich Wut in ihnen. "Denkst du ich steh auf dich oder was?"
Ein warmes Gefühl bereitete sich in mir aus, weil ich sie tatsächlich ablenken konnte.
Ich schmunzelte leicht und verschränkte meine Arme.
"Kann sein, man weiß ja nie."
Ich spielte meine ganze Gelassenheit nur vor und hoffte, dass sie mir es abkaufen würde. Denn eigentlich war ich am Boden zerstört. Denk nicht an sie. Denk nicht an das, was passiert ist.
Es ist schon so lange her.
Sie starrte mich ungläubig an.
"Warte mal. Du denkst echt, dass ich auf dich stehen könnte, nach dieser Aktion gerade?"
Ich war mir sicher, dass sie mir gleich eine klatschen würde.
"Also ich glaube schon, dass du vor vier Tagen, als ich dich ausversehen angerempelt hatte, extra im Weg standest."
"Das ist nicht dein Ernst."
Ich antwortete nicht, sondern grinste sie nur weiter an.
"Okay, aber du kletterst dauernd in mein Zimmer! Schau dir mal die amerikanischen Teenie-Serien an, da klettern die Jungs ständig bei ihrem Schwarm ins Zimmer herein."
Sie sah mich triumphierend an.
"Wer hat gesagt, dass ich nicht auf dich stehe?" Natürlich stande ich nicht auf sie, aber den Triumph wollte ich ihr nicht gönnen.
Sogar in der Dunkelheit erkannte ich, dass sie rot wurde.
Und im gleichen Moment fingen wir beide an zu lachen.
Y/n:
Ich wusste auf was Katsuki hinaus wollte und trotz dem ganzen Scheiß der gerade passiert ist, konnte er mich zum Lachen bringen.
Er konnte mich tatsächlich durch seine dummen Kommentare auf andere Gedanken bringen.
Trotzdem würde ich ihm das nicht so einfach verzeihen.
Nein, ich würde ihm das nie verzeihen.
Wir redeten bestimmt schon seit 45 Minuten über lustige Dinge und flirteten einfach nur aus Spaß.
Ich musste wirklich oft lachen, obwohl ich vor nicht einmal einer Stunde am Tiefpunkt meines Lebens war.
Das einzige, was mich an diesen Moment erinnerte war, mein trockener Hals und meine zusammengezogene Brust.
Wir saßen beide in meinem Bett und er war gegenüber von mir.
Als wir fertig mit dem ganzen Lachen und Flirten waren, fragte ich ihn mit einem ruhigen, zugleich aber auch traurigen Ton: "Macht dich etwas unglücklich?"
Er hielt für einen kurzen Moment inne und runzelte sich die Stirn.
"Mhm.. Nein, mich machen Sachen eher wütend."
Ich hob verständnislos meine Augenbrauen und verschränkte meine Arme.
"Wie meinst du das?"
"Natürlich wäre ich traurig wenn jemand stirbt oder wenn etwas anderes tragisches passiert, aber ich wandle meine Trauer in Wut um, damit kann ich besser umgehen.
Ich kann mit Trauer nicht umgehen."
Eine schwere stille umhüllte den Raum, bis er noch hinzufügte:
"Ich bin nicht so ein sensibelchen wie du." Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben, doch in seinen Augen spiegelte sich etwas nachdenkliches ab.
"Aha, wer hat mich denn schon zum zweiten so Mal so liebevoll umarmt?
Das war sehr sensibel.", konterte ich.
"Pf das war doch nicht liebevoll."
Wenn das für ihn keine liebevolle Umarmung war, dann möchte ich erst gar nicht wissen, wie eine liebevolle von ihm wäre.
"Mhm. Haben dich schon einmal Leute verletzt?" , hackte ich weiter nach.
"Wütend gemacht", korrigierte er mich. "Ja sehr viele sogar."
Ich drehte mich von ihm weg und schaute zum Fenster, wo es bereits komplett dunkel war und wenige Sterne den Himmel erhellten.
"Jeder wurde schon einmal verletzt."
Er folgte meinem Blick.
"Ich nicht, weil ich niemanden an mich heran lasse." Es klang nach einer Lüge.
Ich knackte nervös meine Finger.
"Also hattest du keine Freundin?
Liebe verletzt oft."
"Doch hatte ich, aber wenn ich spüre, dass die Liebe nachlässt mache ich sofort Schluss. Es lohnt sich nicht, seine Zeit mit Weinen und Trauer zu vergeuden. Das Leben ist dafür zu kurz." Seine Stimme veränderte sich aus irgendeinem Grund. War das eine Lüge?
Ich wandte mich zu ihm und schaute ihm in die Augen
"Wow, das klang wirklich poetisch."
"Sollte es auch. Den Satz habe ich mir extra für dich ausgedacht.", er lächelte leicht. Das Lächeln stand ihm.
"Danke", murmelte ich.
"Für was?" Er schaute mich fragend an.
Ich erwiderte sein Lächeln.
"Dafür, dass du mich aufgefangen hast."
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