Kapitel 138


Y/n:

Zwei Monate später.

Meine Hände zitterten, als ich auf den kleinen Zettel zwischen meinen Fingern starrte. Das Papier war bereits sehr zerknittert und man konnte deutlich sehen, dass er unzählige Male auf- und zusammengefaltet wurde.
Plötzlich verschwimmten die Zahlen miteinander und eine Träne befeuchtete das Blatt.

"Hey, Y/n." Katsuki griff nach meinen zitternden Händen und zog mich zu sich. "Es wird alles gut, ja?"

"Ich.." Ich schluckte. "Ich habe Angst, ich habe so verdammte Angst, ihn anzurufen."

Meine Mutter hatte mir vor ein paar Monaten, bevor sie in die Entzugsklinik gegangen ist einen Zettel mit einer Nummer darauf gegeben, womit ich meinen Vater anrufen konnte und Katsuki hat bereits für mich einen Termin ausgemacht. Seit meine Mutter aus der Entzugsklinik wieder zurückgekommen ist, sind zwei Wochen vergangen. Sie hat mir gesagt, dass sie alles geregelt hat und mein Vater innerhalb weniger Monate wieder freigelassen wird. Ich hatte keine Ahnung wie sie das gemacht hat, aber ich weiß, dass ihre Handlungen nicht auf der Seite des Gesetzes waren. Es mochte egoistisch klingen, aber ich wollte einfach nicht mehr darüber erfahren, mein Leben bestand schon aus genug Dramen.

Natürlich war mir schon von Anfang an klar, dass sie auf ihren eigenen Hintern achten würde und nicht die Folgen von ihren Fehlern tragen würde. Jedoch ist mir aufgefallen, dass sie sich seit ihrem Entzug auch wirklich verändert hatte.
Unsere Beziehung war immer noch kompliziert, aber ich habe die Kraft gefunden ihr zu vergeben. Irgendwie.
Sie war auch nur ein Mensch, der Fehler machte und sie war innerlich ein Kind.
Sie war meine Mutter und ich musste irgendwie mit ihr umgehen können.
Jetzt lebten wir noch zusammen, aber uns beiden war klar, dass sobald mein Vater freigesprochen wurde, ich zu ihm ziehen würde. Wir haben nicht über dieses Thema gesprochen, aber ich war mir sicher, dass sie nichts dagegen einwenden würde.

Meine Mutter gab sich Mühe die beste Version von sich selbst zu sein und ich akzeptierte sie auf jede Weise. Sie hat es versucht und alles gegeben. Und dass ich nun hier saß und meinen Vater zum ersten mal nach langer Zeit wieder hören konnte, war ihr Verdienst.
Aber irgendwas hielt mich ab die Anruftaste zu drücken.

Katsuki streichelte mit seinem Daumen über meinen Handrücken. "Es ist komplett normal, dass du Angst hast. In den letzten Monaten ist viel passiert, aber du musst dich deiner Furcht stellen, ja? Denk dran, dass ich mich in einer ähblicben Lage befand, als ich Alora's Brief gelesen habe. Ich dachte, dass sie mich hassen würde, aber am Ende, war es ganz anders, als wie ich es mir vorgestellt hatte."

Er hatte Recht. Ich blickte zu meinem Handy, wo die Nummer bereits seit fünf Minuten eingegeben war.
Das letzte Mal, als ich mit meinem Vater gesprochen habe, war auf Mina's Geburtstagsparty, wo ich einen plötzlichen Anruf von ihn erhalten hatte. Ich musste schlucken, als ich daran dachte wie ich ihn angeschrien habe. Dafür würde ich mich mein Leben lang hassen. Ich hob meinen Finger an, um die Taste zu drücken, aber zögerte.

Ich musste Schluchzen und hielt inne.
"Scheiße, man."

"Y/n.", hörte ich Katsuki, doch ich blickte nicht zu ihm auf. "Du weißt, ich möchte nur das Beste für dich, oder?"

Ich nickte.

"Dann bitte werde nicht wütend, für das, was ich jetzt mache."

Bevor ich reagieren konnte, bemerkte ich, wie er schnell auf die Anruftaste drückte und es anfing zu klingeln.
Ich hätte vor Schreck, fast mein Handy fallen lassen.

"Katsuki!", zischte ich und hielt gleich darauf meinen Atem an. Das Klingeln hallte in meinem Zimmer nach und mein ganzer Körper spannte sich an.
Ich wollte auflegen, konnte aber nicht.
Jetzt war es schon zu spät.

Ich hielt meinen Atem bis zum letzten Klingeln an. Genau in dem Moment, wo ich dachte, dass niemand rangehen würde und ich auflegen wollte, nahm jemand den Hörer ab. Für einen Moment hörte ich nur schwere Atemgeräusche. Ich erkannte sie, sie hörten sich genauso, wie beim letzten Gespräch an.

"Y/n? Bitte sag mir, dass du es bist."
Und da war sie. Die Stimme meines Vaters. Ich habe für eine lange Zeit gedacht, dass ich sie vergessen hätte.
Eine Träne rollte über meine Wange.

"Dad." Das Einzige, was ich sagen konnte.

"Gott sei Dank." Er sprach auf Englisch und für einen kurzen Moment brauchte ich Zeit, um mich innerlich umzustellen.

"Dad.. es tut mir so leid.", wisperte ich und dachte kurz, dass er es nicht gehört hätte.

"Y/n, aber für was denn?" Seine Stimme klang brüchig, aber sanft.

Ich schluchzte. "Für alles. Du musstest nur wegen mir ins.. Gefängnis."

Für eine Sekunde war es komplett still und ich hörte nur meinen eigenen Atem.

"Oh Gott, Y/n. Hast du das wirklich die ganzen Monate über gedacht?", stieß mein Vater aus, doch ich antwortete nicht. Stattdessen schluchzte ich leise, weil mir immer mehr Tränen über meine Wange rollten. Ich spürte wie Katsuki's Hand über meinen Rücken streichte.

"Y/n bitte hör mir genau zu. Du bist nicht schuld an dem was passiert ist. An rein gar nichts. Du warst 15, woher hättest du wissen sollen, was richtig und falsch war? Ich nehme dir nichts Übel und liebe dich von ganzem Herzen!" Seine Worte sorgten dafür, dass mir ein Stein vom Herzen fiel, doch ich fühlte mich immer noch schuldig.

"Hätte ich nur vor den Richtern ausgesagt, dass die ganzen Beschuldigungen von Mom nicht stimmten, dann wärst du gar nicht inhaftiert worden.", erwiderte ich und die alten Erinneringen drängten sich an die Oberfläche meines Verstandes.

"Du hattest eine Panickattacke und das berechtigt! Wir hätten dich nie diesem Druck aussetzen sollen! Bitte Y/n, gib dir niemals wieder die Schuld für das alles, was passiert ist! Es wird alles gut, okay? Ich habe mit deiner Mutter gesprochen und wir haben alles geregelt, ich komme in einem Monat raus und wir können uns dann wieder sehen, ja?"

"Aber was dann? Du bist in der USA, während ich in Japan bin. Dad, ich kann nicht noch einmal umziehen, ich.."

"Wir werden alles regeln, versprochen.", versicherte er mir. "Ich möchte nie wieder, dass du auf irgendeine Weise leiden musst, du bist mein Ein und Alles." Ich atmete flach und konnte einfach keine Worte finden.

"Wechseln wir das Thema. Ich habe lange nichts mehr von dir gehört. Wie geht es dir sonst so und was gibst es neues?", wollte mein Vater wissen und änderte seinen Ton. Ich spürte wie sich meine Schultern entspannten. Er hatte recht, es würde alles gut werden.

Während ich ihm einiges aus meiner Schulzeit in Tokio erzählte - die Details mit Ibara jedoch noch wegließ, um ihn nicht zu beunruhigen- bemerkte ich, wie sehr mir die Gespräche mit meinem Vater gefehlt haben. Ich erzählte ihm von meinen besten Freundinnen und von Katsuki. Dad hörte mir gespannt zu und obwohl diese Situation so paradox war, haben wir sogar gelacht.

Das Gespräch zog sich fast bis zu einer Stunde und Katsuki blieb die ganze Zeit über bei mir sitzen. Irgendwann mussten wir unser Telefonat beenden, doch als ich auflegte, fühlte ich mich komplett anders. Besser.

Ich blickte zu Katsuki, der mich stolz anschaute, bevor ich ihn in eine Umarmung zog. "Und wieder mal hatte ich recht. Ich habe doch gesagt, dass alles gut wird.", meinte er und küsste mich auf die Stirn.

Ich lächelte. "Was ein Besserwisser."

Und trotzdem war ich heilfroh, dass er recht hatte. Es wird alles gut werden. Du hast schon so viel durchlebt, das hier wird ein Klacks für dich.


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