"Some beautiful paths can't be discovered without getting lost." - Erol Ozan
Der zweite Schultag war schon gleich weitaus weniger entspannend als der Erste. Ich hatte in den ersten beiden Stunden Fremdsprachenunterricht, was für mich Französisch hieß, keine Stärke von mir, nicht seit Mr. Baguette und ich auseinandergegangen sind. Daisy hatte zu meinem Glück das Fach auch gewählt, während Hayden Spanisch interessanter fand, doch mein Kopf war noch zu brechend voll von allem, was gestern Abend war und vor allem, was heute Morgen gewesen ist, um mich wirklich auf das Fach zu konzentrieren. Nur daran zu denken, ließ mich erschaudern, meine Gedanken verrücktspielen. Mir kam langsam alles vor, wie in einem ganz schlechten und verrückten Film.
Nachdem ich verstört auf dem Sofa zurückgeblieben war, hatte ich brav meinen Tee getrunken und mich anschließend für die Schule fertig gemacht auf den Wunsch meiner Eltern hin. Sie alle meinten nur, sie würden das schon regeln, ich solle mir nicht den Kopf zu sehr zerbrechen. Ich war so verwirrt gewesen, dass ich einfach auf sie gehört hatte, es nun jedoch bereute nicht daheim geblieben zu sein. Ich war erschöpft und völlig durcheinander.
Ich war wieder so klar bei Verstand, dass die Ereignisse mich nun irritierten, alle Fragen mich halb wahnsinnig machten und ich einfach nicht weiterwusste, nicht wusste, wie ich den Tag aushalten sollte in diesem Zustand.
„Alles ok bei dir? Du wirkst, als hättest du nicht viel Schlaf gehabt", flüsterte Daisy neben mir leise und ich zwang mich zu lächeln, doch ich musste furchtbar aussehen, wenn sie das laut aussprach.
„Man sieht es so sehr?", fragte ich, was sie auch lächeln ließ. „Nur ein wenig, nichts, was ein wenig Concealer nicht richten könnte."
Ja, Daisy war wirklich nett, liebenswert auf eine gewisse Weise, man konnte nicht anders, als sie gern zu haben. Ich fragte mich, inwiefern sie etwas von diesen Wächtern wusste. Würde Hayden ihr das anvertrauen? Sie würde ihn doch für irre halten, oder? Würde Elin mich für irre halten, wenn ich ihr das erzähle, was meine Mutter mir erzählt hatte? Es war schwer zu sagen, immerhin hatte sie zu oft gesehen, wie eigen sich Pflanzen in meiner Nähe benahmen, aber das alles war nochmal eine Nummer größer.
„Ich glaube nicht, dass Concealer noch viel hilft. Ich sehe aus, als wäre ich aus einem Zombiefilm entflohen", erwiderte ich, versuchte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Text vor mir zu richten, den wir nun eigentlich lesen sollten, nur leider hatte ich nicht die Kraft französische Texte zu verstehen, fragte mich sowieso, wie ich es in dem Fach soweit hatte bringen können, wenn ich nicht einmal so simple Dinge verstehen konnte, wie sie hier standen.
„Wenn du willst, kann ich dich in der Pause schminken, aber du brauchst das eigentlich gar nicht. Es sieht ja nicht schlimm aus, du bist eben müde."
„Ich sollte wohl eher in der Pause schlafen", murmelte ich und brachte sie leise zum Kichern, als mir da etwas auffiel. Mein Blick blieb beim Fensterbrett hängen, wo die draufstehenden Pflanzen anfingen zu wachsen, und zwar offensichtlich zu wachsen. Sie wurden größer, nicht so erschreckend wie in meinem Zimmer, doch dennoch auf eine Art, wie es sich für eine gewöhnliche Pflanze nicht gehören würde, andere bemerken könnten.
„Haben die Junkies wieder ihre Joints in die Erde gesteckt?", fragte Dawson, der neben Reed einige Plätze von uns entfernt saß und das auch bemerkt zu haben schien, die Aufmerksamkeit der allermeisten im Zimmer damit auf die Pflanzen richtete.
Das ist meine Schuld! Ich machte das, ich ließ sie so wachsen, wie stoppte ich das? Wie machte ich, dass es aufhörte? Bald würde jeder wissen, dass irgendwas nicht mit rechten Dingen vor sich ging und dann würde man was tun? Mich als Verrückte in die Klapse stecken? Würde das FBI kommen und mich nach Area 51 verschleppen, um an mir herumzuexperimentieren?
„Alice?", fragte Daisy mich, sah mich mit einem Blick an, als ob sie genau wüsste, dass das meine Schuld wäre und das alles machte mich von Sekunde zu Sekunde panischer, weswegen ich regelrecht vom Platz aufsprang, fluchtartig mit meinen Sachen zur Türe rannte.
„Wo wollen Sie denn hin?", fragte mich unsere Lehrerin Mrs. Deveraux, doch ich ignorierte sie, hatte sicher keinen Kopf für sie und den Französischunterricht, rannte raus auf den Gang und weiter in Richtung Mädchenklo. Ich musste erst einmal richtig durchatmen, das hier irgendwie verarbeiten.
Wie kontrollierte ich das, was auch immer hier gerade passierte? Niemand hatte mir irgendwas diesbezüglich gesagt, wieso drehten Pflanzen plötzlich so extrem durch in meiner Gegenwart? Vorher hatten sie das doch auch nie getan.
Ich schrie auf, als ich am Arm gepackt wurde, dachte kurz Daisy wäre mir nachgelaufen, als ich mich umdrehte, sah ich zu meinem Erstaunen jedoch in Reeds Augen, was mich nur noch mehr irritierte. Wieso lief er mir nach? Ich wollte nicht mit ihm reden und das allein in einem verlassenen Gang.
„Was soll die Scheiße? Du kannst nicht so etwas in aller Öffentlichkeit tun!", sagte er wütend und ich riss mich los, sah ihn genauso sauer an wie er mich, aber ich machte das ja nicht mit Absicht, war gestresst genug und brauchte mich da nicht noch von ihm so anschreien zu lassen!
„Ich habe keine Ahnung, was hier los ist. Irgendwas stimmt nicht und ich weiß nicht was, also hör auf so gemein zu sein!", sagte ich fertig mit meinen armen Nerven, verstand das alles nicht und konnte es sicher nicht gebrauchen nun auch noch von ihm angemault zu werden. Sein Blick wurde etwas sanfter von meinen Worten und er atmete tief durch, sah sich um, aber außer uns war niemand hier.
„Wie viel weißt du?", fragte er mich anschließend, meinte wohl alles zu den Wächtern, nur wie viel wusste ich denn? Ich kannte nur diese seltsame Gute Nacht Geschichte bisher, aber offenbar war sie die Basis zu alledem, leider nur nicht unbedingt informativ genug.
„Kaum etwas. Ich weiß, dass es Wächter gibt", sagte ich und er seufzte genervt, raufte sich die Haare, sah damit seinem Bruder gleich viel ähnlicher und schien ziemlich abgefuckt von mir zu sein.
„Wunderbar. Eine uninformierte Wächterin, deine Eltern sind ja wirklich zwei intelligente Vollidioten."
„Hey!", sagte ich sauer von dieser Beleidigung, doch er sollte ja nichts gegen meine Familie sagen! „Pass auf, was du hier sagst. Ich brauche doch nicht mit dir zu reden und mir solche Dinge anhören. Ich komme schon allein zurecht." Wütend lief ich davon, lief zügig dabei, da ich genau hörte, wie er mir nacheilte, mich jedoch erst erreichte, als ich durch den Haupteingang hinausspazierte. Er griff nach meiner Hand und augenblicklich blieb ich stehen, wo er erschrocken von mir abließ, nachdem sich dieses bisschen an Hautkontakt wie ein kleiner Stromschlag angefühlt hatte. Was war das denn bitte? Ich kannte es einen elektrischen Schlag zu kriegen, wenn die Kleidung von einem etwas aufgeladen war. Das hier war nicht vergleichbar gewesen. Es hatte sich zwar genauso in der Art angefühlt, doch irgendwie war es mehr als das gewesen, auch wenn mir die Worte zum Beschreiben fehlten.
Reed schien es hierbei jedoch nicht anders zu gehen, er schien wirklich verwirrt zu sein und meine Wut gegen ihn war damit wie vergessen, denn das war eigenartig gewesen, sehr eigenartig sogar.
„Ich sollte gehen", sagte ich leise, musste meine Eltern aufsuchen, irgendwen aus meiner Familie, der mir sagen könnte, was zu tun wäre.
„Du kannst nicht gehen, du hinterlässt eine Spur", sagte Reed und ich folgte seinem Blick zur Wiese neben dem Eingang, wo das Gras ungewöhnlich schnell das Wachen anfing. Oh verdammt. Was war nur mit mir? Sonst war so etwas doch auch nie geschehen.
„Was soll ich tun? Hier warten bis die Schule verschlungen wird?", fragte ich, aber das war doch keine Option!
„Reich mir dein Handy!"
„Wieso sollte ich? Hör auf mich zu behandeln wie ein kleines Kind und rede normal mit mir verdammt nochmal!"
„Ich rufe deine Eltern an, denn die können dir gerne erzählen, was Sache ist, ich bin kein scheiß Babysitter."
„Ich weiß, was Sache ist... zum Teil zumindest", sagte ich patzig, dachte an die Geschichte von gestern. Wieso war meine Kraft so plötzlich so stark geworden? Bedeutete das etwa...
„Ich bezweifle, dass du genug weißt, und wenn du nicht willst, dass die ganze Schule sich in einem Baum verwandelt, solltest du jemanden anrufen oder ich rufe jemanden an", erwiderte er ernst, sah mich kühl an und in jeder normalen Situation wäre ich sicher unter diesem Blick geschrumpft, doch gerade war ich so voller Adrenalin, dass es mir nicht viel ausmachte. Mein Herz schlug wie verrückt, ich war überfordert, hatte Angst, wollte nach Hause, doch ich konnte nicht weg, wollte nicht eine Spur durch halb London hinterlassen.
„Das ist noch nie passiert, wieso passiert es denn jetzt auf einmal? Wie stoppe ich das bitte? I-Ich will nicht, dass das passiert, es soll doch einfach aufhören!" Meine Panik veränderte etwas in Reeds Gesichtsausdruck. Er schien sanfter zu werden, verständnisvoller und kurz schloss er die Augen, atmete tief durch, schien sich zu beruhigen, ehe er mich wieder ansah.
„Das ist ganz normal, wenn die Wächtergaben einsetzen zum ersten Mal. Normalerweise ist man unterrichtet, was man zu tun hat, hat Hilfe an der Seite, aber deine Familie hat es ja nicht für nötig gehalten dich aufzuklären, Herzblatt, also sollten wir jetzt jemanden rufen, der helfen kann." Hat er mich gerade Herzblatt genannt? Was war das bitte für ein Spitznamen? War es überhaupt ein Spitzname? Egal, ich würde es nicht hinterfragen, gerade war er etwas netter und das wollte ich nicht gleich ruinieren, außerdem half er mir ja, versuchte es zumindest und das war wichtiger als ein alberner Name. Ich versuchte mich von seinen Worten beruhigen zu lassen, einfach war es leider nicht. Ich kam mir trotz seiner Anwesenheit einsam vor, verloren, wusste nicht, wie irgendwer mir herbei schon helfen könnte und ich merkte, wie mir die Tränen kamen. Ich führte mich sicher wie ein Kleinkind gerade auf und Reed würde nach dem heutigen Tag sicher offiziell meine Nähe komplett meiden, doch sollte er ruhig, ich würde ihn nicht vermissen!
„Ok du musst jetzt wirklich versuchen ruhig zu werden, deine Emotionen verschlimmern das alles", sagte Reed eingehend und ich atmete zittrig durch, merkte, wie ich drohte das Hyperventilieren anzufangen, zu gern eine Tüte gehabt hätte, um in sie rein zu atmen, war schon dabei ihn zu fragen, ob er mir nicht einfach eine verpassen kann, um mich irgendwie abzulenken.
Ich musste jedoch nichts sagen, nichts fragen, als er mein Gesicht einfach in seine Hände nahm und ich augenblicklich ruhig wurde. Ich spürte dasselbe elektrische Kribbeln wie gerade eben, als unsere Hände sich berührt haben, nur dieses Mal zog er seine nicht weg. Er ließ sie an Ort und Stelle, zwang mich, ihn anzusehen und ich war wie benebelt von seinen grünen Augen, seiner Berührung, dieser eigenartigen, elektrisierenden Nähe.
„Atme tief durch", mahnte er mich und ich tat, wie er es wollte, atmete langsam und gleichmäßig durch, sah nur ihn an, verstand nicht, wie er das machte. Wie konnte seine Nähe mich so ruhig machen? In seiner Gegenwart war ich meist so nervös gewesen und kaum berührte er mich, wurde ich die Ruhe selbst. Ich wollte ihn fragen, wie er das schaffte, wie das möglich war, doch ein Hupen stoppte mich davor und perplex sah ich zu dem Sportwagen, der vor dem Eingang hielt und in dem meine Tante Lilien drinnen saß. Sie hatte ein Tuch um ihre blondierten Haare gewickelt, eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase platziert und im Grunde wirkte sie ein wenig, als wäre sie die weibliche Hauptrolle in einem Actionfilm, wo man gerade auf der Flucht vor den Cops in einem gestohlenen Auto war. Was tat sie denn hier?
„Steigt ein, wir sollten dringend los", wies sie uns herrisch an und ich sah kurz zu Reed, der meine Tante mit einem amüsierten Gesichtsausdruck ansah, ehe er zu mir schaute. Er dachte sicher, meine ganze Familie hätte einen Schaden und irgendwie machte es mich wütend, dass er das denken könnte, denn sicher war seine keineswegs besser! Sie waren genauso verrückt wie meine, genauso sonderbar, immerhin waren sie Zeitreisende!
„Wir?", fragte ich, doch wieso wollte sie, dass Reed mitkommt?
„So wie ich das sehe, hält er dich gerade im Griff und ihr steht nicht nur so gegenüber voneinander, weil ihr wie zwei hormongesteuerte Teenager übereinander herfallen wollt. Also kommt er mit, ich will nicht, dass du unterwegs die Natur durchdrehen lässt", erklärte sie und ich merkte, wie ich rot von ihren Worten wurde, wollte ihr schon mitteilen, dass Reed besseres zu tun hat, ich das schaffen würde, als dieser mich jedoch an die Hand nahm und zum Auto zog. Er öffnete die Türe und zog mich mit sich auf die schmale Rückbank, als Lilien schon losfuhr, ich mich gerade noch so anschnallen konnte.
Dieser Tag war verrückt. Von Anfang an war er einfach nur verrückt.
„Wieso bist du hier?"
„Ich habe genug mit deinem Vater diskutiert und nachdem deine Mutter ausgespuckt hat, dass sie dir gestern die Wahrheit berichtete, wollte ich nicht länger warten, zu warten ist hierbei gefährlich."
„Also bin ich das, was ich befürchte zu sein?", fragte ich unsicher und sie nickte knapp, wo mein Herz mir gleich in die Hose rutschte. Ich war eine Wächterin. Ich war Teil dieser ganzen Sache. Das war krank, ein schlechter Scherz, wie konnte es wahr sein?
„Du bist eine Wächterin, eine richtige Wächterin. Man kann nie im Voraus wissen, bei wem aus der Blutlinie die Kraft durchbricht und bei wem nicht. Es gibt Zeiten, wo über Generationen nicht einer Kräfte hat, dann gibt es welche, wo es so gut wie jeden trifft. Du bist in dieser Familie die erste seit Malia", klärte sie mich auf und obwohl das mit Malia neu war, so wunderte es mich nicht, ich hatte es eigentlich längst geahnt seit gestern. Ich sah zu Reed neben mir, dessen Nähe mich nach wie vor irritierte. Wir berührten uns gerade zwar nicht, doch allein, dass er hier war, war eigenartig. Vorher hatten wir nie was freiwillig miteinander zu tun gehabt, er mochte mich ganz offensichtlich nicht und nun saß er hier, half mir, obwohl er es nicht müsste.
„Warum bricht es erst jetzt aus? So plötzlich?", fragte ich weiter nach, sah wieder nach vorne, bevor er mein Starren bemerken könnte, wusste gar nicht, wohin Lilien eigentlich fuhr, doch ich vertraute ihr und war zuversichtlich, dass ich wohl ganz viele Antworten kriegen würde nun, wo ich mehr Teil von allem war als es den meisten wohl lieb wäre, besonders meinen Eltern.
„Diese Kräfte treten irgendwann zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr auf. Wenn du 19 bist und nie was geschehen ist, dann wird es auch nicht mehr geschehen, ganz einfach."
„Und was wird nun geschehen?", fragte ich unsicher weiter, hatte ja immerhin gar keine Ahnung. Ich stellte mir das alles unheimlich vor, düster, geheimnisvoll, hatte mich selbst nie in so einer Situation gesehen, wie sollte ich auch? Bis jetzt waren meiner Meinung nach so übernatürliche Dinge nichts als Märchen. Zauberer gab es nur in Büchern, Vampire in Liebesfilmen, das war alles Fiction, nicht die Realität und doch schienen ein paar Dinge wahr zu sein.
„Deine Eltern wollten nach allem, was wegen Malia gewesen war, dich so gut es ging von dieser Welt fernhalten, hatten gehofft, dass du diese Kräfte schon nicht haben würdest, die Chance sie zu kriegen ist ja auch nicht sehr hoch, aber eigentlich haben sie alles nur noch schlimmer gemacht mit ihrem Verhalten, denn nun musst du in kurzer Zeit alle Informationen verarbeiten, die du hier aufgetischt kriegst", sagte sie gestresst, fuhr schneller, als es sicher erlaubt war und es glich meiner Meinung nach einem Wunder, immerhin war das hier London und die Straßen war voll, verdammt voll, aber so wie meine Tante fuhr, fürchteten andere um ihre Leben und machten Platz für sie.
„Was gibt es denn noch so zu wissen. Ich weiß doch schon einiges über die Wächter."
Reed neben mir schnaubte von dieser Aussage meinerseits und meine Tante vorne wirkte selbst belustigt. „Oh Schatz, du hast ja keine Ahnung, aber du wirst alles lernen und damit du dir und anderen nicht schaden kannst, wirst du bei dem Quartier der Wächter Tricks zur Kontrolle erlernen und einen Bindungspartner hoffentlich finden", erklärte sie mir und ich verzog das Gesicht bei dem Wort Bindungspartner, aber ich wusste nicht, ob mir das gefallen sollte. Es klang ernst.
„Was für ein Partner?", fragte ich deswegen und sah, wie wir wieder mehr aus dem Trubel der Innenstadt fuhren, es ländlicher um uns herum wurde.
„Jeder Wächter hat einen Partner oder kann zumindest einen haben. Manchmal muss man Jahre warten, um einen zu finden, da man nicht weiß, wann sein Partner seine Kräfte endlich entdeckt, aber früher oder später kriegt jeder einen. Ein Bindungspartner hilft einem mit seinen Kräften. Mit ihm an der Seite ist man am stärksten, beherrscht seine Kraft am besten, man ist in gewisser Weise im Geiste verbunden, es ist sehr speziell alles aber äußerst hilfreich."
„Und dieser Partner kann jeder sein? Was ist, wenn mein Partner ein alter Mann ist? Oder irgendein Idiot? Oder er noch gar nicht seine Kraft hat und dann muss ich allein damit klarkommen", ratterte ich besorgt herunter, doch das schien etwas Ernstes zu sein und ich wollte nicht bis ans Ende meiner Tage Zeit mit jemanden verbringen, den ich nicht ausstehen konnte. Nein, bei meinem Glück wäre es nur eine grauenvolle Person und dann was? Der Gedanke im Geiste verbunden zu jemanden zu sein klang so intim und ich war nicht bereit, so einen Schritt mit irgendwem einzugehen und das nur, weil es anders nicht ging, weil ich anders mit meinen Kräften zu überfordert wäre.
„Es wird schon gut gehen und nun reiß dich zusammen, Alice, du bist eine Noir und wir haben keine Angst", tadelte sie mich und stoppte den Wagen, wo ich erst so richtig wahrnahm, wo wir uns befanden.
Wir waren in einem kleinen Waldstück gelandet und die Straße fand hier ein Ende, denn vor uns befand sich nur noch ein großes Haus, das zum Teil noch aus Stein bestand und zeigte, wie verdammt alt es wohl war. Dann bestand es wiederum aber auch aus neueren Teilen, die aus Holz nachträglich erst vor kurzem irgendwann wohl dazu gebaut wurden, das alles irgendwie wie ein Baumhaus wirkte. Ein riesiges, altes Baumhaus. Was war das für ein Ort?
„Ist das das Quartier?", fragte ich, hätte mir irgendwie was anders vorgestellt. Wenn ich an Quartier denke, kam mir als erstes Batmans Geheimversteck in den Sinn.
„Womit hast du gerechnet? Einem Superheldengeheimversteck?", fragte Reed neckend neben mir, war nun wieder deutlich kühler geworden, jetzt, wo ich nicht mehr hysterisch war. Der Typ hatte ja solche Probleme.
„Ja, es wurde über die Jahre häufig halb zerstört und musste neu errichtet werden, besonders im zweiten Weltkrieg hat es stark gelitten. Es wurde immer irgendwie wiedererrichtet und man hat immer versucht etwas Neues daraus zu machen."
„Sieht man", merkte ich an, stieg so wie sie und Reed auch aus dem Auto und folgt ihnen zu dem Eingang, der eine große Glastüre war. Also ich hatte ja nicht viel Ahnung zu der ganzen Sache, was diese Wächter bewirken sollten, doch stabil wirkte der Eingang ja nicht, konnte unmöglich Bedrohungen irgendeiner Art aufhalten. Wollten sie denn Bedrohungen aufhalten? Gab es denn Bedrohungen?
„Wird man von mir als Wächterin erwarten zu kämpfen?", fragte ich Reed leise, der die Augenbrauen hob und zu mir hinabsah. „Kämpfen? Du? Du rennst schreiend vor deinem eigenen Schatten weg und musstest dich in den paar Tagen, wo ich dich kenne, öfters retten lassen als eine fucking Disney Prinzessin, wenn dich jemand kämpfen lässt, muss man schon sehr verzweifelt sein." Wow, wie nett.
„Ein einfaches Nein hätte genügt", murmelte ich sauer von seinen Worten, hielt mich lieber an meine Tante, die im Gegensatz zu ihm wie ein Engel wirkte und das musste schon was bedeuten.
„Und wie geht es nun weiter?", fragte ich sie unsicher, folgte ihr in das Innere des Gebäudes, wo einem sofort der Geruch von alten Büchern entgegenschlug, es sowieso irgendwie seltsam wirkte. Es war zum einen so modern hier und dann waren gleichzeitig aber auch so viele alte Gemälde überall, wo man auch hinsah. Es war als hätte man sich nicht ganz entscheiden können, welchen Stil man bevorzugt.
„Nun wirst du als Wächterin gemeldet, dann darf ich mir anhören, wieso man dich nicht früher hergeschickt hat und anschließend kümmern die anderen sich um dich."
„Ihre Eltern werden den meisten Ärger abkriegen", sagte Reed und Lilien verdrehte die Augen.
„Lass es mich nicht bereuen, dich mitgenommen zu haben. Ich akzeptiere deine Gegenwart in Alices Nähe gerade nur, weil es notwendig ist, wenn sie erst einen Partner hat, wirst du schön auf Abstand zu dieser Familie bleiben", sagte sie gereizt und brachte Reed zum Schmunzeln. „Diese Familie hat nichts Reizendes zu bieten", erwiderte dieser herablassend.
„Das hast du ja wohl mal anders gesehen", konterte meine Tante und schien einen wunden Punkt getroffen zu haben, da er sie kurz mit einem solchen Hass ansah, dass ich ganz kurz Angst hatte, er könnte ihr was antun, doch das tat er nicht, er wandte sich lediglich ab, lehnte sich an die Wand, ignorierte uns.
„Die anderen?", fragte ich panisch, lenkte wieder zum eigentlichen Thema zurück, wollte nichts mit Fremden zu tun haben, getrennt von ihr werden, als schon eine Frau auf uns zugelaufen kam, deren freundliches Lächeln verschwand, kaum erblickte sie mich. „Oh Gott", hauchte sie entsetzt und kurz war ich irritiert, ehe ich mich an Malia erinnerte, verstand, dass sie sie wohl gekannt hatte, wie irgendwie jeder, der was mit der Sache zu tun hatte. Verständlich, sie war eine Wächterin gewesen, die Letzte der Familie.
„Keine Sorge, Mrs Flores, das ist nicht Malia", beruhigte Lilien sie augenblicklich und die Frau, die klein und rundlich war, eine gebräunte Haut besaß und dunkle Haare, die sie hochgesteckt trug, schien verwirrt zu sein. Sie musterte mich mit großen Augen, rang nach Worten. „Aber... die Ähnlichkeit..."
„Ich weiß. Das ist Alice Noir, meine Nichte und die Cousine von Malia. Sie ist die Tochter von Henry und Cecilia", sprach sie weiter und diese Mrs Flores blieb direkt vor mir stehen, musterte mich weiter, schien nach und nach die Unterschiede wohl zu erkennen, da ihr Blick sanfter wurde.
„Ja, Malia hatte blaue Augen und sie war auch ein bisschen kleiner, wenn ich mich jetzt nicht ganz irre, aber sonst... es ist verblüffend", staunte sie nicht schlecht, schien den Tränen plötzlich nahe zu sein. „Für einen Moment..."
„Ja, meine Teuerste, es wäre schön, aber wir wissen, dass es niemals so sein wird."
„Natürlich, aber womit haben wir euren Besuch verdient?", fragte Mrs Flores nun freundlich, fing sich wieder, auch wenn sie mich immer noch die meiste Zeit anstarrte. Sie hatte einen leichten Akzent und aufgrund ihres Nachnamens schloss ich raus, dass sie vermutlich Spanierin war? Oder zumindest lateinamerikanischer Herkunft. Sie hatte beneidenswert schöne Haut und das obwohl sie bestimmt über 40 Jahre alt war.
„Alice hier hat ihre Wächterkräfte offenbart und da Henry sie vor allem ferngehalten hatte, muss sie wohl vieles nachholen."
„Hat sie das?", fragte Mrs Flores überrascht. „Oh, wie wundervoll, was ist ihre Kraft?"
„So wie ich es schätzten würde, das Bändigen von Erde und Pflanzen im Allgemeinen", antwortete Reed für mich, woraufhin diese Mrs Flores zu ihm sah. „Und du hast die beiden Damen herbegleitet, weil...?"
„Ohne mich Alice unsere Schule fast in einen Dschungel verwandelt hätte", antwortete er und sie musterte ihn nicht gerade glücklich. Es wirkte so, als ob sie ihn nicht sehr mochte. Ich nahm es ihr nicht übel.
„Na dann folgt mir", sagte sie dazu nur und lief los.
„Und was wird nun sein?", fragte ich unbeholfen, folgte den beiden Frauen weiter einen Gang entlang, sah mich staunend um, war gleichzeitig jedoch auch nervös wegen dem, was nun sein würde, während Reed gemütlich uns hinterherlief, nicht offen Teil von uns sein wollte, es sicher längst bereute, mitgekommen zu sein.
„Mrs Flores ist die Haushälterin hier, sie kümmert sich um vieles, ist eine Aufpasserin, obwohl sie aus keiner der fünf Familien stammt. Wir werden dich am besten bei Mr Norbert absetzen, dann kann er dir alles Geschichtliche erklären, während wir den Meister aufsuchen."
„Meister?", fragte ich, aber das klang gruselig, als ob er ein König wäre und augenblicklich stellte ich mir so etwas vor. Einen alten Mann auf einem großen Thron, der seine Diener durch die Gegend scheucht und immerzu grimmig war.
„Phoenix Warren, er stammt aus der Götterlinie, ist selbst aber kein Wächter. Er ist erst seit ein paar Jahren der Meister, der Leiter von diesem Quartier, er sorgt für Recht und Ordnung", sagte Mrs Flores freundlich und ich nickte verstehend, auch wenn sie mich nicht sah, da sie vorauslief.
Im Gang begegneten wir anderen Menschen, viele sahen starr geradeaus, während sie liefen, würdigten einen keines Blickes, während andere Mrs Flores freundlich zunickten. Ich sah wie andere Reed hinter mir immer fast schon ehrfürchtig ansahen, seine Blicke richtig mieden und einige andere mich hingegen irritiert ansahen. Ich war froh, als wir endlich ankamen und vor einer hellen Flügeltüre mit wunderschönen Verzierungen stoppten, der Spuk ein Ende hatte vorerst.
„Mr Norbert hast du ja bereits beim Abendessen letztens kennen gelernt. Er kennt sich bestens mit allem Geschichtlichen aus, wird dir das nötigste vorerst erklären. Deine Eltern werden sicher bald da sein und danach wird alles weitere geklärt." Ja immerhin wusste Mr Norbert, wer ich war, erneut so angestarrt zu werden, als ob ich eine wandelnde Tote wäre, wollte ich nicht müssen.
Mrs Flores klopfte an der Türe, ehe sie diese öffnete und ich schon eines der mit Abstand hübschesten Büros überhaupt erblickte, das ich mit geweiteten Augen ansah. Beide Wände rechts und links bestanden aus gigantischen Bücherregalen mit Unmengen an Büchern in diesen, die ich zu gern lesen wollte, und die Wand vor mir war einfach nur aus Glas, wohinter man den Wald sehen konnte. Ein großer hübscher Schreibtisch war vor dieser Wand platziert und hinter diesem saß Mr Norbert, der lächelnd aufsprang, als er uns erblickte. „Lilien und Alice, welch eine Freude euch zu sehen, aber womit habe ich diesen überraschenden Besuch denn verdient? Schickt Peter euch?"
„Ich bin, wie es aussieht, eine Wächterin und Sie wissen alles Geschichtliche dazu, weswegen es sehr nett wäre, wenn Sie mir aushelfen würden" sagte ich, bevor einer der anderen was sagen konnte.
„Eine Wächterin", staunte Mr. Norbert mit großen Augen. „Ich hatte es geahnt, es einfach gefühlt, als ich dich das erste Mal sah, aber dass es Wirklichkeit werden würde... verblüffend." Sein Blick fiel auf Reed, der gemütlich sich an den Türrahmen lehnte, und fragend sah er zu meiner Tante, die jedoch nur schlicht meinte: „Ich erzähle es dir später."
„Du wärst sicher so freundlich, sie ein wenig zu unterrichten, oder?", fragte Mrs Flores ihn lieblich und er nickte freundlich, wirkte richtig euphorisch, als ob er nichts lieber machen würde und ich war froh über seine Offenheit.
„Aber natürlich doch, komm herein Alice, du hast sicher viele Fragen." Ich sah ein letztes Mal zu den beiden Frauen, sah zu Reed, der mich nur kurz uninteressiert ansah, ehe er sich abstützte und umdrehte. Was war nur mit ihm? Ich würde nie schlau aus ihm werden, wollte es aber auch nicht. Sollte er sich doch aufspielen, wie er wollte, mir egal.
Ich seufzte leise, ehe ich eintrat und die Türen hinter mir schon zugingen. Mr. Norbert führte mich zu einem gemütlichen Sessel vor seinem Schreibtisch, eilte zu dem Bücherregal zu meiner rechten und zog schon einen alten Wälzer aus diesem heraus, ehe er sich auf seinem Stuhl hinter dem Tisch niederließ.
„Meine Mutter hat mir ein wenig was bereits erzählt", sagte ich, während er das Buch aufschlug und darin herumblätterte. „Ich weiß, dass es fünf Wächtergruppen gibt, die Natur, Zeit und Götterwächter, die anderen beiden kenne ich nicht."
„Die Wächter der Unterwelt und die Wächter der Magie", sagte er, ohne mich anzusehen, lächelte, als er die richtige Seite wohl gefunden hatte.
„Stimmt, das waren die beiden", meinte ich und erinnerte mich wieder mehr an meine alte Gutenachtgeschichte. Es war nach wie vor so seltsam, dass sie Wirklichkeit sein sollte, dass alles wahr ist. Ich dachte an andere Gute Nacht Geschichten, wie Schneewittchen oder Peter Pan, waren das auch echte Sachen oder waren sie frei erfunden?
„Die Wächter gibt es seit tausenden von Jahren musst du wissen, den genauen Ursprung weiß man nicht mehr, doch es wird gemunkelt, dass die Götter selbst Auserwählte auf der Erde platzierten und die Wächter somit geboren wurden", sagte er und sah nun endlich zu mir. Ich lehnte mich mehr vor von seinen Worten, war glücklich endlich alles genau zu erfahren, gleichzeitig machte es mir aber auch einfach Angst, denn wie würde meine Zukunft von nun an aussehen?
„Von welchen Göttern reden wir aber? Welche Mythologie?", fragte ich, immerhin gab es da so einige, doch anscheinend amüsierte ihn meine Frage, da er laut zu lachen anfing und den Kopf schüttelte, als wäre das absurd, was mich leicht kränkte, aber was war so witzig an der Frage?
„Welche Mythologie... ach mein liebes Kind, jede Mythologie ist als solche wahr. Es gibt sie alle, manche sind ein und dieselbe Person im Grunde, da die Wege sich da nicht weit trennen, doch man kann sich da nicht spezifizieren. Die Wächter der Götter sind auch mit ihnen allen deswegen verbunden."
„Also ist es bewiesen, dass es mehrere Götter gibt und nicht nur einen? Ich meine, es ist schon schwer vorstellbar genug, dass es überhaupt Götter geben soll", sagte ich und war beeindruckt. Ich war nie sehr gläubig gewesen, wurde nie getauft oder ähnliches, aber an viele Götter geglaubt hatte ich noch weniger als an einen einzigen. Ich sah unbewusst nach oben, glaubte beobachtet zu werden, denn es war ein unheimlicher Gedanke, dass es so viele mächtige Wesen geben soll, sie alle uns übergestellt waren. Götter. Ich dachte an Zeus, Odin, Neptun und was weiß ich, wen es noch gab, doch offenbar gab es sie alle.
„Die Götter sind eine komplizierte Sache und das philosophieren dazu solltest du den Wächtern dieser überlassen, aber ja, es gibt viele von ihnen", meinte Mr Norbert und räusperte sich kurz. „Wie dem auch sei, die fünf Wächter haben in all der Zeit sich mit der Rolle beschäftigt, die Welt im Gleichgewicht zu halten, die Erde zu schützen, die Götter zu ehren, das Böse zu vertreiben und die Zeit wertzuschätzen. Seit Ewigkeiten gab es immer Probleme und Differenzen zwischen den Wächtern der Zeit und der Natur, genauso wie die Wächter der Unterwelt und die Wächter der Götter sich gerne in die Haare kriegen konnten, doch man kam miteinander aus, bis die Wächter der Magie ausstarben."
„Sie starben aus?" Meine Augen weiteten sich schockiert, aber das war mir neu.
„Es gab eine Tragödie und jeder dieser Blutlinie verging mit dieser. Seit mehr als 100 Jahren gab es keine Wächter der Magie mehr und seitdem ist die Welt nicht mehr im Gleichgewicht, ist von Katastrophen heimgesucht worden, wie dem ersten und zweiten Weltkrieg, Vietnam, die Konflikte im Nahen Osten. Man sieht immer, dass zu Zeiten, wo es keine Wächter in einer bestimmten Gruppe gibt, Probleme sich häufen", erzählte er mir und ich dachte an das letzte Jahrhundert zurück und das, was ich alles darüber wusste. Rosig hatte es da jetzt nicht ausgesehen.
„Wenn die ganze Linie tot ist, wie kann die Welt dann je wieder in Ordnung gebracht werden?", fragte ich, woraufhin er eine seltsame Handbewegung machte, als ob das egal wäre. „Das ist ein Anliegen der Wächter der Zeit und sollte dich nicht weiter kümmern. Du bist eine Wächterin der Natur und es ist gut, denn wir haben in diesem Quartier dringend wieder welche gebraucht, nachdem deine Cousine verstarb."
„In diesem Quartier? Wie viele Einrichtungen gibt es denn?"
„Fünf Stück. Wir können ja kaum jeden Wächter zwingen nach London zu kommen, also gibt es noch vier weitere auf der Welt verteilt. Es gab mal mehr, doch durch tragische Umstände sind einige von ihnen nicht mehr vorhanden. Alles Dinge, die du gelernt hättest, wenn du früher zur Unterrichtung hergekommen wärst", sagte er freundlich, legte seine Hände auf seinem dicken Bauch ab und wirkte ganz erheitert von dieser ganzen Angelegenheit. „Normalerweise lernen Kinder solcher Blutlinien ab dem Alter von zehn Jahren alles nötige zu den Wächtern, für den Fall, dass sie welche werden und auch weil es ihr Erbe ist, aber na gut, solche Dinge kommen vor wie mit dir. Es gab oft völlig uninformierte Kinder mit starken Kräften, nichts, was wir nicht regeln können."
„Ok, also Götter sind real, Zeitreisen, bestimmte Kräfte, all das ist real, was gibt es noch?" Erwartungsvoll sah ich ihn an. Wenn solche Dinge möglich war, was war es noch?
„So vieles und dir jetzt alles zu erzählen... wir hätten leider nicht die Zeit dafür, aber ein Großteil hat sich eh stark verändert seit den Dunklen Tagen."
„Dunkle Tage?", fragte ich, was für dunkle Tage? Das klang irgendwie apokalyptisch, als ob die Pest ihr Unwesen getrieben hätte oder so.
„Eine weitere lange Geschichte. Wir Wächter haben vieles erlebt und vor über hundert Jahren war eine sehr schwere Zeit in der viele Wächter starben, sich die Welt für uns sehr veränderte, aber im Detail wirst du wann anders mehr erfahren", erklärte er mir und ich nickte verstehend, war gespannt, was es alles zu erfahren gab.
„Und wie wird es nun weitergehen? Meine Kraft ist also die Erde und ich werde einen Partner kriegen als Hilfe?", fragte ich nach und er nickte erfreut, fing an mit einem ziemlich teuer wirkenden Füller etwas in das Buch vor ihm zu schreiben.
„Partner sind sehr wichtig, sie machen einen stärker. Wächter der Natur haben in der Regel ihren Partner aus den Kreisen der Wächter der Unterwelt, sie sind ihre idealen Gegenstücke, aber Ausnahmen gibt es immer."
„Und woher weiß man, wer der ideale Partner für einen ist?", fragte ich weiter nach, als er fertig geschrieben hat und schon aufstand, sich sein Jackett richtete. „Das findest du jetzt heraus, na komm."
Ich stand ebenfalls auf und folgte ihm aus dem Raum heraus, weiter durch die Gänge dieses Gebäudes, wo wir unterwegs auf niemanden trafen. Manche dieser Gänge waren aus purem Holz, andere waren fast nur aus Glas, so dass man den Wald bewundern konnte und ich glaubte nicht weit von hier mehrere einzelne Gebäude zu sehen, doch ich hatte nicht genug Zeit sie weiter zu bewundern. Es war wirklich ein sehr eigenartiges Gebäude, es erzählte eine Geschichte, auch wenn ich diese noch nicht ganz kannte.
Wir kamen schließlich in einem großen Saal an, der jedoch an der Türe als der Kleine Saal betitelt wurde, also gab es einen Ort, der noch größer als das war?
Mit einem faszinierten Blick sah ich mich in dem gewaltigen Raum um, dessen Decke so antik wirkte mit den Malereien auf dieser, dass ich mich am liebsten auf den Rücken gelegt hätte, um das alles zu bestaunen, doch die Stimmen meiner Eltern bewahrten mich davor, irgendwas dergleichen zu tun.
„Alice", riefen sie beide gleichzeitig und eilten auf mich zu. Ich bemerkte sie und die ganzen anderen Anwesenden hier erst da so richtig. Meine Tante stand neben Cameron und sprach mit einem mir unbekannten Mann, der dunkles Haar hatte, ungefähr so alt sein müsste wie Lilien selbst, doch alle Blicke fielen auf uns, als wir den Raum betraten.
„Ihr seid da."
„Natürlich sind wir da, das hier muss alles so befremdlich für dich sein", sagte mein Vater und klang verbittert. „Wir hatten so sehr gehofft, dass diese ganze Sache an Dari und dir vorbeigehen würde, aber es scheint, als würde das Glück nicht auf unserer Seite liegen."
„Die Wahrheit hätte mein Leben jetzt vereinfacht", merkte ich zynisch an, immerhin war das alles so verwirrend und mein Kopf schmerzte schon höllisch von all den Informationen, mit denen ich überschüttet wurde. Es war allerdings nett endlich Antworten zu erhalten.
„Vermutlich", seufzte er bitter, als der fremde Mann sich da zu uns begab und mich freundlich anlächelte. „Ja, sie sieht Malia wahrlich ähnlich", sagte er und reichte mir schon seine mit Ringen verzierte Hand. „Ich bin Phoenix Warren, der Meister dieses Quartiers und ich bin zuversichtlich, dass du dich schnell zurechtfinden und verstehen wirst mit den anderen Wächtern und Mitgliedern."
„Ich hoffe es doch", erwiderte ich und schüttelte seine Hand, sah unsicher von meinen Eltern zu Mr Norbert, der nun zu einem komischen Teil lief, das am Ende des Saals aufgestellt war und das wie eine uralte Maschine oder so wirkte. Sie war wirklich riesig und sah nicht so aus wie etwas, das in irgendeiner Fabrik heutzutage noch benutzt werden würde, wenn ich wüsste, was es denn war. War das eine Druckpresse?
„Was ist das?", fragte ich neugierig nach, sah zu, wie der Geschichtslehrer anfing irgendwelche Hebel zu bewirken, genau wusste, was er da tat.
„Es ist ein antikes Gerät, das von uns über die Jahre modernisiert wurde und nun in der Lage ist durch Blut zu erkennen, wer dein geeigneter Bindungspartner ist. Es gibt nicht viele in diesem Quartier, die keinen Partner haben, aber man findet immer den Richtigen, egal wie lange es auch dauern mag", klärte Warren mich auf und zeigte mir an, ihm zu folgen, und ich dachte aufgeregt daran, wer mein Partner wohl werden würde, hoffte so sehr auf eine nette Person.
Als ich auf Mr Norbert zulief, fiel mir auf, dass Reed auch anwesend war. Er hatte sich wohl ganz bewusst abseits von meiner Familie gestellt, lehnte an einer Säule und sah zu uns, doch viel mehr Aufmerksamkeit konnte ich ihm nicht schenken.
„So, ich brauche nur einen kleinen Tropfen von dir", sagte Mr Norbert, dem ich zögernd meine Hand reichte. Ich mochte kein Blut, konnte es nicht sehen, wollte es nicht sehen, auch wenn mein eigenes noch ganz erträglich war. Ich sah angespannt zu, als er meinen Zeigefinger schon kurz desinfizierte, ehe er mit einer frisch aus der Packung geholten Nadel mir in diesen stach. Ich zuckte leicht zusammen von dem kurzen Schmerz, sah angeekelt dabei zu, wie ein bisschen Blut aus der winzigen Wunde quoll. Das Blut ließ er in einen kleinen Spalt bei der komischen Maschine fallen und schien damit fertig zu sein.
„Perfekt, das war es auch schon", sagte er und klebte mir ein Pflaster auf die Wunde, ehe er wieder sich daran zu schaffen machte, irgendwelche Hebel und Knöpfe zu betätigen.
„Wie viele Wächter gibt es hier zurzeit überhaupt?", fragte ich, würde gerne wissen, wer sie alle waren, was ihre Kräfte wären, wie sie mit allem umgingen. Es schien so interessant zu sein, so furchtbar aufregend.
„Nicht viele. Zwei Zeitwächter, ein paar Unterweltwächter und Götterwächter und eben dich, die einzige Wächterin der Natur. Es gibt natürlich noch viele Wächter in den anderen Quartieren, doch einen Partner von dort zu wählen ist immer schwer, aber wenn es nicht anders geht, muss man einen Weg finden, da es für beide Seiten besser so ist", erklärte Warren mir und ich hörte Mr Norbert entsetzt keuchen bei seiner Arbeit.
„Was ist los?", fragte Cameron sofort, der zu diesem eilte und auf den Bildschirm schaute, der vor unseren Blicken verborgen lag, jedoch genauso entsetzt wirkte wie der Lehrer, was mich enorm verunsicherte? Stimmte was nicht? War es so schlimm?
„Was ist denn?", fragte ich unsicher, aber mir gefiel es nicht, wie sie sich benahmen. Stimmte denn was mit meinem Blut nicht? War mein Partner so grauenvoll?
„Ihr Bindungspartner ist Reed Wentworth", sagte Cameron, klang sauer dabei, kurz davor auszuflippen und ich selbst keuchte entsetzt auf, doch Reed? Ich dachte unsere Linien kommen nicht gut miteinander aus? Es konnte nicht Reed sein, es durfte nicht er sein. Mit Grauen dachte ich daran, bis ans Ende meiner Tage ihn als Partner zu haben, dachte daran, wie gemein und patzig er war und am liebsten wäre ich in Tränen ausgebrochen und hätte meine Mutter angefleht, mich nach Hause zu bringen, nicht zuzulassen, dass es Reed wird, doch was hatte ich schon für eine Wahl? Ich brauchte ihn. Er war mein Partner, ohne ihn würde ich das hier nie schaffen, nie durchstehen.
Mein Blick fiel auf den Jungen an der Säule, der uns natürlich gehört hatte und sein Blick war undefinierbar. Er wirkte schockiert, sprachlos aber auch verärgert. Ja, er konnte sich sicher auch Besseres vorstellen. Er mochte mich nicht und nun sollte er mein Partner werden? Für ihn musste das genauso beschissen sein wie für mich.
„Aber Reed hat bereits eine Partnerin", merkte Lilien an, als ob das alles ein gewaltiger Irrtum sein müsste, ließ mich kurz Hoffnung kriegen, leider schüttelte Warren bedauernd den Kopf. „Grace ist seit hundert Jahren tot, ist der Partner fort, kann nach einer gewissen Zeit ein Neuer her", sagte er und wirkte genauso angespannt wie jeder im Raum. Sogar meine Eltern schienen nicht gut drauf zu sein und ich wusste nicht so recht warum. Klar mochten unsere Familien sich nicht, aber es konnte nicht so schlimm werden, oder? Na gut, es würde schlimm werden, wem versuchte ich hier was vorzumachen, doch ich musste nun einen kühlen Kopf bewahren, ruhig bleiben. Wie sollte das klappen? Er mochte mich nicht, ich mochte ihn nicht wirklich, er war gemein und kein guter Mensch, das würde doch nur böse enden.
„Na gut, dann ist es halt Reed, ein jugendlicher Typ, der eigentlich ein paar hundert Jahre alt ist und sich wie ein Arsch aufführt, ich werde es verkraften", sagte ich, klang leicht hysterisch dabei. Jemand anderes wäre mir hierbei echt lieber gewesen als er. Er war unfreundlich, arrogant und sah meiner Meinung nach zu gut aus, wie sollte ich in seiner Nähe klarkommen?
„Das ist nicht so einfach", meinte Cameron sauer, der dabei zu diesem sah, als ob das seine Schuld wäre, und Reed hatte sich wieder gefangen von dieser schockierenden Nachricht, stieß sich von der Säule ab und lief langsam auf uns zu, während mein Cousin sich in rage redet. „Jedes beschissene Mal, wenn jemand aus dem Naturkreis mit jemanden aus dem Zeitkreis zusammengesteckt wird, stirbt jemand, jedes verdammte Mal, wir können das also nicht zulassen!"
„Oh, sag doch gleich, dass du denkst, dass ich die Kleine umbringen werde!", zischte Reed gereizt und Cameron sah ihn grimmig an, während ich mich kurz an meiner eigenen Spucke verschluckte, aber umbringen? Bitte was? Das ging mir ja alles wirklich definitiv zu weit.
„Hast du es denn vor? Willst du noch einen weiteren aus meiner Familie auf deine kranke Liste setzen?"
„Ok, ganz ruhig, Cameron", besänftigte mein Vater ihn, bevor mehr geschehen könnte, denn mein Cousin wirkte geladen und Reed schien es darauf anzulegen, ihn zu provozieren. Mein Gefühl sagte mir nur, dass so ein Kampf nicht gut für meinen Cousin ausgehen würde. Etwas in der Art, wie Reed sich bewegte, ihn fixiere, es war wie eine Raubkatze, gefährlich beängstigend und Cameron wäre verloren. Reed war ein Kämpfer, ich sah ihm an, dass er wusste, wie man sich wehrte, wie man zuschlug, wie man gewinnen würde.
„Wir können das nicht zulassen. Ich lasse diesen Bastard nicht in ihre Nähe!"
„Was für eine Wahl haben wir?", fragte Warren sachlich. „Alice ist so unerfahren, sie braucht jemanden und Reed weiß Bescheid, sehr lange sogar, er kann ihr sehr gut helfen und wir sollten uns nicht wegen irgendwelchen abergläubischen Dingen verunsichern lassen."
„Natürlich kann er das. Genauso wie er seiner ersten Partnerin helfen konnte. Wenn ich mich nicht irre, ist Grace seinetwegen gestorben, oder nicht? Und ist meine Schwester nicht wegen seines verdammten Bruders nun tot?", schrie er wütend und mein Vater eilte wie Warren und Mr Norbert zu den Jungs, als Reed ausholte. Das hatte gesessen. Er hatte Reed so weit provoziert, dass dieser rot sah, auf meinen Cousin einschlug und nur Schlimmeres verhindert werden konnte, weil die anderen Männer sie trennten.
Mit großen Augen sah ich mir das Schauspiel an, war verstört, konnte perplex nur dastehen, denn bitte was? Reed hatte wen getötet? Und Hayden hatte Malia umgebracht? Was? Meine Augen waren sicher so groß wie Tennisbälle mittlerweile, aber das waren schwerverdaubare Informationen.
„Du solltest aufpassen, was du hier sagst!", zischte Reed, riss sich los und verließ den Saal mit großen Schritten. Ich wollte ihm nach, ihn beruhigen und mich für meinen Cousin entschuldigen, doch ich war wie festgefroren und glaubte, es wäre wohl besser, ihm nun nicht nachzueilen.
„Graces Tod war ein Unfall und das, was mit Malia gewesen war, hat nichts mit Reed zu tun", sagte mein Vater besänftigend an Cameron gerichtet.
„Inwiefern trägt aber Hayden Schuld an Malias Tod?", fragte ich verwirrt. Hayden wirkte nicht wie ein Mörder auf mich, keineswegs sogar.
„Nicht Hayden, Alice", sagte Warren nun einfühlsam, wirkte erschöpft. „Die Zwillinge hatten einen älteren Bruder, ebenfalls ein Wächter und der Bindungspartner von Malia, er trägt Schuld an ihrem Tod, aber das sind alles Geschichten aus der Vergangenheit, niemand kann wissen, was kommen wird und Reed ist ein guter Junge."
„Ich befürchte nur, dass er noch so gut sein kann wie er will, dass es schwer werden wird ihn überhaupt davon zu überzeugen, hierbei mitzumachen. Du weißt, wie der Junge sein kann, du hast es gerade gesehen und ich sage es nur ungern, aber ich bin auch nicht glücklich das Mädchen an seiner Seite zu wissen. Er ist kein guter Umgang", merkte Mr Norbert vorsichtig an, schien sein Lächeln verloren zu haben und das verunsicherte mich. Wenn sogar er seine Zweifel zu alledem hatte, konnte das nichts Gutes bedeuten. Reed war sicher alles andere als die Freundlichkeit in Person, doch wenn so viele Leute in Sorge wegen der Lage waren, ihm nicht ganz vertrauten, das konnte ja nichts Gutes bedeuten.
„Wir werden das klären. Vielleicht sollte Alice vorerst nach Hause gehen. Ihre Einweihung wird so schnell wie es geht geplant werden und damit sie ihre Kräfte nicht weiter außer Kontrolle geraten lässt, sollte sie vorerst zu Hause bleiben und das hier trinken", sagte Warren, zog etwas aus seiner Jackentasche hervor und reichte mir eine kleine, sehr kleine Ampulle, die anstatt Wasser jedoch etwas seltsam Rosafarbenes enthielt.
„Was ist das?", fragte ich und musterte die Flüssigkeit, die seltsam aussah.
„Miryks. Es unterdrückt deine Kraft. Zu oft sollte man so etwas nicht nehmen, da es gefährlich werden kann, aber bevor du nicht allein zurechtkommst, ist es besser so für dich und deine Umwelt", sagte er mit einem traurigen Lächeln und ich nickte leicht, doch besser das, als nur wieder in einem Urwald zu erwachen.
Wörter: 7563
Aloha :) Oh man, ich hoffe das ist nicht alles zu viel Info auf einmal in diesem Kapitel gewesen. I'm so sorry. Würde mich aber echt über eure Meinung freuen xx
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