› 15 ‹ Von Liebesgeschichten und Kirchturmuhren

my little secret - citizen soldier

»Siran«, höre ich Wala hinter mir rufen und drehe mich nochmal um. Meine beste Freundin kommt durch den strömenden Regen angerannt, eine Hand an ihrem pinkgemusterten Schirm, eine an ihrem Kopftuch, als würde es ihr jeden Moment vom Kopf fliegen.

»'Tschuldigung, dass ich so spät bin, ich bin erstmal ohne Regenschirm raus und als ich dann einen hatte, meinte mein kleiner Bruder, dass es sicher toll wäre, jetzt noch die Treppen runterzufallen«, keucht sie, als sie neben mir ankommt und sich die Seite hält. »Aber er hat es überlebt. Du hättest ihn nur heulen hören sollen, das ist echt unerträglich.«

Ohne ihr eine Antwort zu geben setze ich mich wieder in Bewegung, damit wir nicht zu spät in die Schule kommen. Auf Stress mit meinen Lehrern habe ich echt keine Lust.

Meine Haare hängen mir inzwischen nass ins Gesicht, trotz des Schirms, der sich über meinen Kopf spannt und mich vor dem Regen retten soll. Angewidert ziehe ich die Nase hoch, als ich einigen Regenwürmern auf dem Gehweg ausweiche.

Wala läuft, immer noch etwas außer Atem, neben mit her. »Und, was ist alles noch so zwischen dir und deinem Ley gelaufen am Samstag?«, fragt sie augenbrauenwackelnd und stößt mich mit einem Ellenbogen in die Seite.

»Da läuft gar nichts, bitte Wala«, seufze ich. »Können wir das bitte in der Pause klären? Da ist Julie auch dabei.« Es tut mir leid, dass ich so unhöflich bin, aber irgendwie mag ich ihr nicht so recht von Leyan erzählen.

»Wenn du das so meinst … aber klar, Julie will sicher auch alles wissen«, sagt Wala. »Und jetzt los, husch husch, ich will nicht komplett durchnässt in der Schule ankommen.«

Ich schüttel lachend den Kopf und hechte meiner besten Freundin hinterher, als sie einen Zahn zulegt.

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Da Wala unbedingt von Samstagabend erzählen will, übernimmt sie den Part, an dem sie noch mit dabei war, während ich stellenweise ergänze. Julie hört währenddessen aufmerksam zu und stellt keine Fragen.

Erst als wir bei dem Part ankommen, an dem Wala uns verlassen hat, werde ich nervös. Jetzt bin ich dran mit Erzählen.

»Bevor ihr denkt, dass da irgendwas noch gelaufen ist«, beginne ich. »Da war wirklich nichts mehr. Wir sind einfach zu Ley nach Hause und da eigentlich recht schnell schlafen gegangen.«

»Aber doch sicher beide in seinem Bett, oder?«, hakt Wala noch einmal nach und wackelt mit ihren Augenbrauen, was echt dämlich aussieht.

Ich seufze. »Ja … aber das war's dann auch schon. Am Morgen hat uns seine Schwester geweckt, wir haben Essen gemacht und dann musste ich wieder gehen«, erzähle ich den Rest in Kurzform, lasse jedoch bewusst einige Dinge aus. »Margo hat mir am Sonntag eine ziemliche Standpauke gehalten. Ich sollte schließlich spätestens um Mitternacht wieder zuhause sein.«

»Und du bist dir sicher, dass da wirklich nichts mehr gelaufen ist?«, fragt Julie noch einmal hoffnungsvoll nach. Ich weiß, dass meine beiden Freundinnen nur so nach einer Liebesschichte geiern, obwohl Julie selbst gerade eine erlebt. Ihr Freund ist wirklich lieb zu ihr und sorgt sich um sie, wenn es ihr nicht gut geht.

»Nein. Bitte, mir … das ist alles so komisch. Ich fühle mir bei Ley wirklich wohl und all das, aber ich weiß nicht, ob mir das nicht alles zu schnell geht. Wir kennen uns erst seit einer Weile und haben eigentlich nur geschrieben bis jetzt. Und dann schlafe ich nach der Party gleich bei ihm. Das, das verwirrt mich alles so.«

Meine Freundinnen sind leise, das ist selten. In die Stille hinein beschließe ich, dass ich ihnen noch mehr erzählen möchte. »Da ist etwas. Leyan weiß etwas, das er gar nicht wissen dürfte. Er kann es nicht wissen. Und das macht mir Angst. Deswegen weiß ich nicht, was ich machen soll.«

Wala und Julie wissen sehr wenig über das, was vor sieben Jahren passiert ist, nur das Nötigste habe ich ihnen erzählt. Nicht, dass ich ihnen nicht vertrauen würde, doch das ist mir selbst für sie zu privat.

»Klär es mit ihm. Frag ihn, ob ihr euch noch einmal treffen könnt und rede dann mit ihm. Sonst wirst du es nur ewig mit dir herumschleppen. Das tut dir nicht gut.« Ich bin froh, dass Wala nicht weiter nachfragt, denn ich weiß nicht, was ich dann erzählt hätte.

Mehr als ein Nicken bekomme ich nicht zustande. Doch ich bin mir nicht sicher, ob ich mich wirklich mit Leyan treffen möchte oder erst Abstand brauche.

Es ist seltsam, die ganze Situation macht mich verrückt, denn ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich mag ihn wirklich sehr und fühle mich wohl bei ihm oder wenn ich mit ihm schreibe. Aber auf der anderes Seite macht es mir Angst, dass er meine Vergangenheit kennt. Obwohl er nicht er ist.

Letztendlich weiß ich nicht, wieso ich mich für die erste Option entscheide, aber als ich nach der Schule zuhause bin, schnappe ich mir mein Handy. Er antwortet - wie kann es auch anders sein - fast sofort.

Siran [13:37]: hey leyan

Leyan [13:37]: Hey. Wie geht's?

Es ist das erste Mal, dass wir schreiben, seit ich bei ihm war, weswegen ich mir erst unsicher bin, wie ich ihm antworten soll.

Siran [13:38]: ganz gut. wie es einem so geht, wenn wenn man von mathe und geografie erschlagen wurde. und selbst? aber eigentlich wollte ich dich etwas fragen.

Leyan [13:38]: Klingt ja ganz schön übel bei dir. Ich habe nachher auch noch Mathe und weiß noch nicht, ob ich überhaupt hingehe.
Schieß los, ich bin ganz Ohr

Siran [13:39]: du gehst da auf jeden fall hin! leyan, ich will nicht, dass du immer deinen unterricht schwänzt. und vielleicht klinge ich wie deine mutter, wenn ich sage, dass das nicht gut für dich ist.

Leyan [13:40]: Nein, du klingst nicht wie meine Mutter, sie sagt sowas nicht...
Übrigens hast du deine Frage vergessen

Siran [13:41]: oh. aber dann hör doch wenigstens auf mich, ok?
nein, ich habe sie nicht vergessen, ich wollte nur, dass du in die schule gehst. danach erzähle ich dir von der frage

Leyan [13:41]: Das ist ganz klar Erpressung!

Siran [13:41]: das ist nur, was notwendig ist

Leyan [13:41]: Aber wie willst du überprüfen, ob ich tatsächlich in der Schule war?

Siran [13:42]: ich vertraue dir einfach. missbrauche dieses vertrauen nicht

Leyan [13:42]: Werde ich nicht, glaub mir, Engel

Zufrieden lege ich mein Handy beiseite. Eigentlich habe ich mich nur nicht getraut ihn zu fragen, ob wir uns treffen sollen, aber das muss er nicht wissen. Auf diese Art habe ich noch mehr Zeit darüber nachzudenken, wie ich es formulieren möchte und er geht zur Schule. Also ist es gut für uns beide.

In der Zwischenzeit kann ich auch mein Zimmer aufräumen, beschließe ich, als ich aufsehe. Das hätte es wirklich mal wieder nötig.

Die Klamotten kommen zurück in den Schrank oder in die Wäsche, die auf dem Boden verteilten Schulsachen an ihren Platz und die restlichen Dinge werden ins Regal gequetscht. Als ich damit fertig bin, sehe ich jedoch, dass nicht einmal zwanzig Minuten vergangen sind und es noch einige Zeit dauert, bis Leyan für heute mit der Schule fertig ist.

Ich beschließe einen Spaziergang zu machen, frische Luft hat noch niemandem geschadet. Es ist besser als im Zimmer herumzusitzen und die Wand anzustarren.

Draußen ist es recht kühl, doch vergleichsweise warm mit der Nacht von Samstag auf Sonntag. Wie so oft in den letzten Tagen muss ich daran zurückdenken, wie ich Leyan das erste Mal wiedergetroffen habe. Die Situation war eine ganz andere als bei unserem hastigen Kennenlernen, und doch war sie besonders.

Ich mag Leyan, das ist mir bewusst, doch jeder Gedanke an das vor sieben Jahren ist wie ein kalter Windstoß, der seine Wärme wieder von mir wegtreibt.

Ich habe Angst, denn ich möchte mich nicht daran erinnern, was passiert ist, es hat mich zerstört, hat mir meine Ängste gebracht. Warum weiß Leyan davon? Er ist nicht er.

Meine Schritte tragen mich durch die Stadt, Menschen hasten an mir vorbei, ein Hund bellt.

Ich mag es draußen zu sein, einfach einen Spaziergang zu machen. Es ist beruhigend, sofern keine Hochzeit stattfindet und die ganze Stadt erfüllt von Autohupen ist. Ich weiß nicht wieso, aber ich hasse dieses Geräusch.

Obwohl es Oktober ist, scheint die Sonne durch das lichte Blätterdach der Bäume, die am Wegesrand stehen. Ich mag den Herbst, das Rascheln der Blätter unter meinen Füßen und die Vögel, die hin und wieder im Gebüsch ihr immergleiches Lied zwitschern.

Doch selbst hier draußen landen meine Gedanken bei Leyan. Ob er wirklich in der Schule ist, ob er mein Vertrauen auch nicht missbraucht. Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es.

Ich denke zurück an Samstag, als wir uns so nah waren, als es sich so vertraut anfühlte zwischen uns. Ich will dieses Gefühl wieder haben, ich will Leyan bei mir haben.

Ich seufze, als ich auf der Kirchturmuhr sehe, dass erst eine Viertelstunde begangen ist, seit ich losgelaufen bin. Wie lange Leyan wohl noch Unterricht hat?

Mit einem Seufzen setze ich mich auf eine Bank neben dem Spielplatz, auf dem ich letztens schon war. Ich mag Kinder, auch wenn sie wirklich nervig sein können.

Julie ist ganz vernarrt in sie und möchte unbedingt mehrere bekommen, wenn sie erwachsen ist. Wala hingegen ist dem Kinderwunsch eher abgeneigt, sie weiß auch nicht so recht warum. Und ich stehe irgendwo dazwischen.

Ich hatte nie mehr Freundinnen als Wala und Julie. Letztere habe ich erst auf der weiterführenden Schule kennengelernt, als sie zu uns zig, mit Wala bin ich dagegen schon seit der Grundschule befreundet.

Es gab auch ein paar andere mit denen ich mich gut verstehe, doch für eine Freundschaft hatte das nie ausgereicht. Doch es ist mir egal, außer Wala und Julie brauche ich keine Freunde, sie sind mehr als genug.

Ein kalter Windstoß fährt durch die raschelnden Blätter der Bäume und ich ziehe meine Jacke enger um mich. Vielleicht sollte ich wieder nach Hause gehen, denn ich erkälte mich recht schnell und auf dem Spielplatz ist auch nicht viel los.

Gemächlich schlendere ich durch die Straßen zurück und überlege, ob ich Leyan nicht einfach jetzt schon fragen soll, ob er sich wieder mit mir treffen will. Wenn er wirklich aufmerksam in der Schule ist, dann wird er die Nachricht erst lesen, wenn der Unterricht vorbei ist.

Ich schnappe mir direkt mein Handy, da ich weiß, dass ich sonst nur noch hibbeliger werden würde.

Siran [14:29]: ich wollte nur fragen, ob wir uns vielleicht wieder treffen könnten

Mir fällt der Zettel wieder ein, den er mir gegeben hat und der seitdem unangetastet in meiner Jackentasche liegt. Ich weiß nicht, was mich daran hindert ihn zu öffnen, vielleicht ist es die Angst oder mir fehlt einfach nur der Mut. Ich will mich nicht erinnern. Doch ich sollte es, denn Leyan hätte es nicht verdient, dass ich ihn auf diese Weise versetze.

Ich verspreche mir innerlich, dass ich den Zettel bald lesen werde, da sehe ich, dass sich die Häkchen der Nachricht blau verfärben. Leyan sollte doch im Unterricht sein.

Leyan [14:32]: Aber hallo, ich dachte schon du fragst nie. Wann und wo?
Und bevor du mich anmotzt, warum ich nicht im Unterricht bin; unser Lehrer hat uns eine kleine Pause gegeben und ich bin „aufs Klo gegangen“. Damit kennst du dich ja aus

Siran [14:33]: ich weiß nicht, ich habe ehrlich gesagt noch nicht darüber nachgedacht

Leyan [14:33]: Da bist du ja bestens vorbereitet, Engel. Was dagegen, wenn ich dich die Tage mal von der Schule abhole?

Siran [14:33]: woher zum teufel weißt du auf welche schule ich gehe?

Leyan [14:34]: Ich habe da so meine Quellen… Nein, aber du hast mal einen deiner Lehrer erwähnt und da es den Namen nicht so oft gibt, bin ich mir ziemlich sicher zu wissen, auf welche Schule du gehst
Also, was denkst du, Engel?

Siran [14:34]: ich denke, dass du wieder zurück in den unterricht solltest
bis nachher


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ich vergesse jedes mal, dass dienstag ist …

das kapitel wurde insgesamt über ein halbes jahr geschrieben, ich glaube man merkt, dass es nicht ganz so prickelnd ist. beziehungsweise ich war im september mit dem kapitel davor fertig, hab den ersten abschnitt mit wala im november geschrieben und den rest im märz oder so. ups

welche sprache würdet ihr am liebsten lernen?

<3

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