Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen folgte Lloyd ihr. Er achtete kaum auf die Straßen, durch die sie sich bewegten, oder was Camille ihm währenddessen sagte. Auch dass sie an seinem Arm klebte und die Muskeln unter der Kleidung befühlte, blendete er aus. Seine ganze Aufmerksamkeit verwendete er darauf, nach dem Wächter zu suchen.
Daher war er entsprechend verwirrt, als er sich auf einmal in Kastolats Rotlichtviertel wiederfand, direkt vor einem hohen Gebäude, aus dem Stimmen kamen. Säulen umrahmten die Flügeltür und trugen das überstehende Ende des Daches. Gebaut war es aus Terracotta, sodass es im Licht rötlich schimmerte. Nur wenige Risse zogen sich durch die Fassade und zeugten von der Baufälligkeit, die die meisten Häuser in Kastolat an den Tag legten.
Lloyd hätte dieses Gebäude fast schön nennen können, wüsste er nicht, was sich hinter diesen Wänden abspielte.
„Ich sollte jetzt gehen", sagte er zu Camille. In diesem Haus würde er Tavaren ohnehin nicht finden.
„Jetzt schon?", fragte sie. „Der Abend ist doch noch jung." Sie drehte sich zu dem Elfen. „Ihr seid ja ganz blass", scherzte sie und stieß ihn an der Schulter an. „Gebt Euch einen Ruck. So schlimm ist es da drinnen nicht."
„A-arbeitet Ihr dort?", fragte Lloyd vorsichtig und schalt sich innerlich, weil seine Stimme zitterte.
„Aber selbstverständlich", antwortete Camille. „Irgendwer muss es ja führen."
„Mhm..." Er traute sich nicht etwas zu erwidern. Diese Begegnung hatte eine Wendung genommen, die er nicht erwartet hatte.
Camille zog den erschütterten Elfen hinter sich her. Statt durch die große Flügeltür zu gehen, umrundete sie das Gebäude und steuerte eine kleinere Tür an der Hinterseite an.
Lloyd währenddessen wog ab, ob er sie vor den Kopf stoßen und einfach weglaufen sollte oder ob es dort drinnen eine Möglichkeit geben könnte, sich in einer Ecke zu verstecken und von niemandem gesehen zu werden. Doch diese für ihn schier unmögliche Entscheidung wurde ihm abgenommen, da Camille ihn, ohne noch einmal nachzufragen, mit sich durch die Tür zog.
Dahinter erstreckte sich ein dunkel getäfelter Korridor mit unzähligen Türen. Der rote Teppich verschlang die Schritte der Beiden, als sie eintraten.
Sie klopfte an eine der Türen und sagte: „Mina, Kiran, Schichtwechsel."
Keine Sekunde später traten ein leichtes Mädchen und ein junger Mann auf den Flur. Dem Mädchen hätte Lloyd am liebsten seinen Umhang über die Schultern gelegt, aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie ihr tägliches Brot verdienen musste, ließ er es.
Kiran betrachtete Lloyd ein wenig zu eindringlich für dessen Wohlbefinden. Argwohn, dessen Intensität durch die Farbe seiner Augen - eines grün, das andere blau - verstärkt wurde.
Er war misstrauisch, da Camille selten jemanden durch diesen Eingang hineinließ und noch seltener hatte sie einen Elfen mit im Schlepptau.
Als Lloyd allerdings zurückstarrte, wandte Kiran schnell seinen Blick ab. Mit einer Kopfbewegung deutete er Mina an, ihm zu folgen, aber ihm schien es weiterhin, als würde der Elf ihn beobachten, selbst als dieser schon lange seine Aufmerksamkeit auf Camille gerichtet hatte.
„Der Junge sieht noch jünger aus als ich", zischte Lloyd ihr zu. Er sprach so leise, dass nur sie ihn hören konnte.
„Kiran?", sagte sie. „Der ist jetzt achtzehn. Und außerdem arbeitet er nicht wirklich hier...also... nur hinter der Bar. Ich habe ihm nur eine Schlafmöglichkeit angeboten, bis sein Onkel ihn abholt. Was eigentlich schon vor einigen Wochen hätte geschehen sollen. Aber naja, ich schulde es der Familie, also kann Kiran so lange hierbleiben, wie er möchte."
„Ich verstehe", antwortete Lloyd.
Beide waren an einer Tür am Ende des Korridors angekommen, aber ehe sie den Raum dahinter betraten, aus dem Stimmengewirr zwischen Tür und Teppich hindurchfloss, wandte sich Camille an den Elfen.
„Tut mir einen Gefallen und stellt bitte nichts an", sagte sie. Sie hatte ohnehin oft genug Ärger mit ihren Gästen.
Ohne auf eine Antwort zu warten, stieß sie die Tür auf. Der Raum war gefüllt mit Menschen. Hauptsächlich Männer verschiedenen Alters und die leichten Mädchen, die für Camille arbeiteten. Einige der Gäste trugen Masken. Es waren Adelige, die es sich nicht leisten konnten, an einem Ort wie diesem gesehen zu werden. Auch einige Musiker entdeckte Lloyd, doch deren Spiel ging im Stimmenmeer fast unter.
„Setzt Euch und genießt die Aussicht." Camille zwinkerte ihm zu. „Ich muss nur schnell etwas erledigen und dann bin ich sofort bei Euch." Und mit diesen Worten ließ sie ihn allein.
Nun stand er dort. Der Elfenprinz inmitten von Menschen. Er versuchte sich vergeblich einzureden, dass es doch nicht so schlimm war. Schließlich musste er nur versuchen, keine Massenpanik auszulösen.
In einer Ecke fand er einen leeren Tisch und schlich quer durch den Raum, um sich dort niederzulassen. Gerne hätte er wie gewöhnlich die Menschen beobachtet, aber wegen der leichten Mädchen behielt er seinen Blick auf die hölzerne Tischoberfläche gerichtet.
Zumindest ganze zwei Sekunden lang. Dann konnte er dem Drang nicht länger widerstehen und sah auf. Er entdeckte Kiran, der hinter dem Tresen stand und die Gäste bediente, und auch Mina, die sich durch die Gäste schlängelte und Getränkte zu den Tischen brachte.
Bei jedem Gast war mindestens eine Dame, die ihn entweder umgarnte oder ihn in eines der oberen Zimmer entführte. Unter dem Personal waren auch einige Elfen. Lloyd knirschte mit den Zähnen. Menschen legten Feuer in Elfenvierteln, schlugen Aufstände blutig nieder und versklavten sie in einigen Regionen. Aber sobald es um solche Geschäfte ging, waren sie gut genug. ‚Exotisch' nannte man es.
Lloyd seufzte. Er war Camille doch nur gefolgt, um Tavaren zu finden. Warum saß er überhaupt hier, anstatt sich weiter auf die Suche nach dem Wächter zu begeben?
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, weil sich jemand neben ihm niederließ. „Na, das ist ja mal eine Überraschung." Lloyd kannte diese Stimme nicht. Kurz glaubte er, dass es sich um eine der hier arbeitenden Damen handeln würde, doch als er sich die Frau ansah, verwarf er den Gedanken schnell wieder. Die blonden Haare der Frau waren in einem hohen Zopf zusammengebunden. Ihre Eisenrüstung hatte schon einige Beulen eingefangen. An einer Seite fehlte die Schulterpanzerung, sodass ihr nackter Arm darunter entblößt wurde. Doch auch trotz dieser Fehler bot sie einen guten Schutz, der den meisten in dieser Stadt nicht vergönnt war.
„Ihr kennt mich?", fragte Lloyd verwundert. Er war sich sicher, diese Frau noch nie gesehen zu haben.
„Natürlich", antwortete die Fremde. „Ich war dabei, als Ihr von Tavaren gefangen genommen wurdet."
Lloyd versuchte sich an den Abend zurückzuerinnern. Er hatte nicht auf die Gruppe geachtet. Daher war ihm diese Frau nicht aufgefallen, die mit den anderen am Lagerfeuer gesessen hatte, die Hand an den Griff ihres Schwertes gelegt, um es zu zücken, falls der Elf eine falsche Bewegung gemacht hätte.
„Ich erinnere mich nicht", gestand Lloyd.
„Auch nicht so wichtig", sagte die Fremde. „Ich hätte nicht gedacht, dass Tavaren Euch wieder gehen lässt. Weil – ohne Euch zu nahe treten zu wollen – Ihr seid schon ziemlich zwielichtig."
„Mhm", machte Lloyd. Er hätte liebend gerne etwas erwidert, aber so ganz widersprechen konnte er ihr nicht. Wie von selbst schweifte sein Blick wieder durch den Raum. Kiran stand immer noch hinter dem Tresen. Camille kam aus einer Tür und durchquerte die Menge, um zu ihm zu gelangen.
„Ich hätte nicht erwartet, Euch an einem Ort wie diesem zu sehen", plauderte die Fremde weiter. „Ihr pflügt ja offensichtlich die andere Furche."
Lloyds Kopf schoss zu ihr. Er musste sich wohl verhört haben.
Abwehrend hob sie die Hände. „Nicht, dass Ihr hier nichts für Euch finden würdet, aber—"
„Camille hat mich hergebracht", schnitt er ihren Satz ab.
Sie nickte. „Ach, dann versucht sie Euch anzuwerben. Verstehe."
Lloyd sah auf die Tischplatte vor sich. Wenn er seinen Kopf nur fest genug dagegen schlug, ob er dann wohl bewusstlos werden könnte?
„Du bist heute auch hier, Eva?", riss eine weitere Stimme ihn aus seinen Gedanken. Camille setzte sich neben die Blondine – Eva – und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Du hast doch gesagt, dass du noch mit mir sprechen wolltest. Also, hier bin ich", antwortete Eva. Ihr Blick richtete sich auf Camilles Ohr, genauer gesagt auf den goldenen Ohrring, den sie trug. Sie legte eine Hand auf die Wange ihrer Freundin.
„Du trägst den Ring?", fragte sie.
Ein unerwartet schüchternes Lächeln huschte über Camilles Gesicht. „Aber klar. Du hast ihn mir doch geschenkt."
Lloyd räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der beiden Frauen wieder auf sich zu lenken. „Ich werde jetzt gehen", sagte er. „Hat mich gefreut, aber ich habe heute Abend noch einiges zu tun." Und mit diesen Worten stand er auf. Hinter sich hörte er Camille „Kommt gerne jederzeit wieder" rufen.
Er machte sich so schnell wie möglich daran, das Bordell zu verlassen und beschloss niemals wieder dorthin zurückzukehren.
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